München "Ganz entscheidend war Herr Steinbrück"

München · Georg Funke beschuldigt über seinen Anwalt den früheren Finanzminister, für den Untergang der Immobilienbank Hypo Real Estate verantwortlich zu sein. Gestern begann der Prozess gegen Funke wegen Bilanzfälschung.

Blass, im von früher gewohnten blauen Anzug mit gestreifter Krawatte war Georg Funke ins Gericht gekommen. Fast zehn Jahre nach der "Tat", die er abstreitet, hat in München gestern die strafrechtliche Aufarbeitung des größten Brockens der Finanzkrise 2008 begonnen. Georg Funke, der frühere Chef der Immobilienbank Hypo Real Estate (HRE), und sein ehemaliger Finanzvorstand Markus Fell müssen sich vor dem Landgericht München verantworten. Bilanzfälschung lautet der Vorwurf der Staatsanwaltschaft: Die beiden hätten die Lage der Bank im Geschäftsbericht 2007 und für das erste Halbjahr 2008 verschleiert und geschönt. Die Rede war von einer "evident falschen Darstellung".

Andere Vorwürfe, Untreue etwa, wurden im Zuge der Ermittlungen fallengelassen. Funkes Verteidiger Wolfgang Kreuzer sagte gestern, die meisten Vorwürfe seien "weggeschmolzen wie ein Eisberg im Klimawandel". Die Bilanzen seien intern und extern geprüft worden, Anweisungen zur Bilanzfälschung habe niemand gegeben und gefunden. Und Kreuzer ging weiter: Es sei im Gegenteil die Bundesregierung gewesen, die der Bank das Genick gebrochen habe - nämlich Peer Steinbrück mit seiner "sehr unbedachten Bemerkung, die Bank müsse abgewickelt werden". Steinbrück war damals Finanzminister in der ersten großen Koalition unter Angela Merkel. Diese Sicht will Funke heute, am zweiten Prozesstag, detailliert vortragen und dazu eine "Streitschrift" präsentieren. Steinbrück wollte sich zur Attacke von Funke auf Anfrage nicht äußern und verwies auf das laufende Verfahren.

Die Hypo Real Estate war in der globalen Finanzkrise der größte deutsche Schadenfall. Die Steuerzahler mussten sie mit einer Kapitalspritze von 9,8 Milliarden Euro stützen. Zudem übernahm der Bund Bürgschaften von 124 Milliarden, auch wenn diese bislang nicht in Anspruch genommen wurden

Die HRE war einer der größten Emittenten von Pfandbriefen, also mit Immobilien besicherten Anleihen. Das sind Wertpapiere mit bis dahin tadellosem Ruf. Hätte die HRE die Anleihen damals nicht mehr bedienen können, wären andere Banken, Versicherungen und Pensionskassen mit in die Pleite gerissen worden. Sie alle hatten Beiträge ihrer Kunden auch in dieser Wertpapiergattung angelegt. Deshalb sprang der Staat ein. Um einen Sturm auf die Banken zu verhindern, sagten damals Kanzlerin Angela Merkel und Steinbrück: "Wir garantieren den Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind. Auch dafür steht die Bundesregierung ein."

Nun war das nicht alles Georg Funke schuld. Sein Problem war aber, dass er die Depfa-Bank überhaupt erworben hat und das im Herbst 2007, als die Anzeichen der Finanzkrise schon unübersehbar waren. Die ehemals konservative preußische Pfandbriefanstalt war durch Privatisierung auf den Namen Depfa geschrumpft und hatte ihren Sitz nach Irland verlagert, weil dort die Bankenaufsicht lascher war. Spezialität der Depfa war, Kredite langfristig teuer zu vergeben und sie mit billigem kurzfristigen Geld zu refinanzieren. Sie war auf beständige Zufuhr frischer Mittel über den Bankenmarkt angewiesen. Im Zuge der amerikanischen Subprime-Krise, die im Juli 2007 offenbar wurde, gelang das immer weniger. Banken misstrauten sich. So geriet die Depfa in Liquiditätsnöte und riss ihre neue Eigentümerin, die HRE, mit. Die Lage verschärfte sich, als im Herbst 2008 die US-Bank Lehman Insolvenz anmeldete. Über Nacht gaben die Banken einander keine Kredite mehr.

Die Staatsanwaltschaft blickt aber auf die Zeit vor dem Lehman-Kollaps. Die schlechte Lage der Bank sei früh klar gewesen. Schon im März 2008 habe die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG einen "Liquiditäts-Katastrophenplan" gefordert. Dennoch habe Funke die Lage als "stabil" dargestellt. Und Funke habe die Bank zu einem schlechtmöglichen Zeitpunkt gekauft. Im Falle einer Verurteilung drohen den beiden Managern mehrere Jahre Haft.

(RP)
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