Christoph Schmidt "Für Athen heißt es: Take it or leave it"

Griechenland im Euro zu halten ist immer noch besser als der Grexit, meint der Wirtschaftsweisen-Chef.

Herr Professor Schmidt, was wäre nach all dem Gezerre für die Euro-Zone besser - soll Griechenland noch im Euro bleiben oder lieber nicht?

Schmidt Meine Einschätzung der Situation hat sich trotz der äußerst schwierigen Verhandlungen in Brüssel nicht verändert. Eine Lösung mit Griechenland im Euro fände ich nach wie vor für alle Seiten besser. Aber dies gilt nur unter der Bedingung, dass man Griechenland nicht zu weit entgegenkommt, vor allem keinem Schuldenschnitt ohne vorher umgesetzte, grundlegende Reformen zustimmt. Mit ihrem jüngsten Vorschlag haben die drei Institutionen etwas Konstruktives auf den Tisch gelegt. Wir sind jetzt hoffentlich an dem Punkt, an dem es für die griechische Regierung heißt: Take it or leave it.

Wann genau wäre für Sie die rote Linie überschritten?

Schmidt Beispielsweise dann, wenn jetzt, noch bevor die notwendigen grundlegenden Reformen umgesetzt wurden, über eine weitere Form von Schuldenerlass verhandelt würde. Auch wenn Athen das wider alle Vernunft immer wieder zum Thema gemacht hat. Griechenland kann nicht gleichzeitig neue Hilfskredite beanspruchen und einen weiteren Schuldenerlass erhalten. Hier würde aus meiner Sicht eine rote Linie überschritten.

Ist es konstruktiv, wenn die Geldgeber im jüngsten Vorschlag verlangen, dass Unternehmen doppelt so hohe Steuervorauszahlungen zahlen sollen wie bisher?

Schmidt Zwar dämpfen Steuererhöhungen oder Ausgabenkürzungen kurzfristig das Wachstum, trotzdem bleiben diese Konsolidierungsmaßnahmen notwendig. Ausgabenkürzungen haben sich tendenziell als weniger wachstumshemmend herausgestellt. Da liegen einige Schritte schon ziemlich nahe, beispielsweise der Abbau der Möglichkeiten zur Frühverrentung, der möglichst schnell umgesetzt werden sollte.

Trotz aller Kritik daran stehen weiterhin die Sparmaßnahmen im Vordergrund und nicht die Reformen.

Schmidt Aus meiner Sicht ist die Frage eher: Wer hat eigentlich die Bringschuld für gute Strukturreformen? Andere Länder wie Irland haben beispielsweise gute eigene Vorschläge gemacht. Die griechische Regierung hat hingegen bisher selbst kaum zielführende Vorschläge unterbreitet und die meisten Vorschläge der Geldgeber abgelehnt.

Ist eine höhere Mehrwertsteuer im Tourismus jetzt sinnvoll?

Schmidt Die macht es natürlich für Griechenland nicht leichter, wettbewerbsfähig zu werden. Aber sie ist eine Möglichkeit, um die enorme Lücke zwischen staatlichen Einnahmen und Ausgaben zu verkleinern. Das ist nun einmal Teil der Gesamtanforderung, der Griechenland sich stellen muss. Ohne schmerzhafte Maßnahmen wird diese Herausforderung nicht zu bewältigen sein.

Sollte es doch noch zu einer Vereinbarung am Wochenende kommen, was muss danach kommen?

Schmidt Dann muss der harte und sicher noch viele Jahre dauernde Anpassungsprozess in Griechenland fortgesetzt werden, der nach der Regierungsübernahme von Syriza im Januar zum Erliegen gekommen ist.

Muss es noch ein drittes Hilfspaket geben, über das dann ab nächster Woche verhandelt werden müsste?

Schmidt Darüber kann nur diskutiert werden, wenn sich Athen kompromissbereiter zeigt als bisher und das Prinzip Leistung gegen Gegenleistung akzeptiert. Gegenwärtig sollte ein drittes Hilfspaket erstmal kein Thema sein.

Sollen sich die Euro-Regierungschefs auf eine politische Lösung einlassen?

Schmidt Die Euro-Länder sind auf die strikte Einhaltung der gemeinsamen Regeln angewiesen, sie sind die Basis ihrer Gemeinschaft. Eine rein politische Lösung der Regierungschefs für Griechenland darf es deshalb nicht geben.

Wäre die Euro-Zone für den Euro-Austritt Griechenlands gewappnet?

Schmidt Das Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro wäre im Gegensatz zur Situation vor einigen Jahren wohl ökonomisch verkraftbar. Zum einen wurde die Architektur der Eurozone zwischenzeitlich deutlich gestärkt. Zum anderen steht die Europäische Zentralbank bereit, um Ansteckungseffekte zu verhindern. Zwar können wir nie ganz ausschließen, dass der Euro-Raum als Ganzes bei einem Grexit nicht mehr so sehr als unwiderruflicher Währungsraum wahrgenommen würde wie bisher. Trotzdem sind wir auf die Regeleinhaltung als grundlegendes Bindeglied der europäischen Einigung dringend angewiesen. Entsprechend könnte der Verzicht auf eine politische Lösung und das weitgehende Einhalten von Regeln den Euro am Ende sogar stärken. Da bin ich ganz zuversichtlich.

Hat sich Athen verzockt?

Schmidt Der fundamentale verhandlungstaktische Fehler der griechischen Regierung ist aus meiner Sicht, dass sie geglaubt hat, die Euro-Zone wäre heute noch genauso verletzlich wie noch vor einigen Jahren. Es hat sich aber vieles verändert, wir haben heute den Rettungsschirm ESM, die Bankenunion und den Fiskalpakt, und die EZB steht deutlich sichtbar bereit, um Ansteckungseffekte zu verhindern. Entsprechend hat sich die Verhandlungsposition der griechischen Regierung verschlechtert.

Brauchen wir eine Insolvenzordnung für die Euro-Staaten?

Schmidt Ja. Die No-Bail-Out-Regel im Maastricht-Vertrag sollte durch eine engere Bindung an gemeinsame Regeln gestärkt werden. Der Sachverständigenrat hat beispielsweise skizziert, wie bei einem sehr hohen Schuldenstand eine regelgebundene Umstrukturierung der Staatsschulden mit einer solidarischen Krisenhilfe durch die Euro-Mitgliedstaaten verknüpft werden könnte. Das wäre eine Art Insolvenzordnung für Staaten und würde wohl von vornherein für mehr Haushaltsdisziplin sorgen.

BIRGIT MARSCHALL FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(mar)
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