Analyse Frank Bsirske und das kontrollierte Chaos

Düsseldorf · Der Chef der Dienstleistungsgewerkschaft sorgt derzeit mit Warnstreiks im öffentlichen Dienst für Aufregung. Mit seiner aggressiven Strategie hat er die Trendwende bei Verdi geschafft – auch wenn er dafür zur Hassfigur wird.

Frank Bsirske: Stationen eines Berufsfunktionärs
10 Bilder

Frank Bsirske: Stationen eines Berufsfunktionärs

10 Bilder

Der Chef der Dienstleistungsgewerkschaft sorgt derzeit mit Warnstreiks im öffentlichen Dienst für Aufregung. Mit seiner aggressiven Strategie hat er die Trendwende bei Verdi geschafft — auch wenn er dafür zur Hassfigur wird.

Die Liste derjenigen, die Frank Bsirske nicht ausstehen können, dürfte in der vergangenen Woche länger geworden sein. Der Chef der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi hat zu einem massiven Warnstreik im öffentlichen Dienst aufgerufen — so massiv, dass an zwei Tagen der Nahverkehr in weiten Teilen von NRW zum Erliegen kam.

Am Donnerstag waren zusätzlich auch die Flughäfen in Frankfurt/Main, München, Köln-Bonn, Hamburg, Hannover und Stuttgart betroffen. Hinzu kamen zahlreiche geschlossene Kitas und Behörden.

Explosives Umfeld

Als Gewerkschaftschef macht man sich mit solchen Aktionen im Volk wenig beliebt, es sei denn, es handelt sich um die eigenen Mitglieder; und bei denen auch nur, wenn am Ende das Ergebnis stimmt. In genau diesem explosiven Umfeld bewegt sich Bsirske derzeit. Öffentlich tritt er meist hemdsärmelig auf, redet sich im Verlauf seiner Auftritte gerne in Rage.

Am Ende einer solchen Rede vor Gewerkschaftern in der Dortmunder Westfalenhalle ging das sogar so weit, dass er kurz nach der Finanzkrise den zockenden Bankern symbolisch beide Mittelfinger entgegenreckte. Dass Verdi auch Bankangestellte vertritt, schien ihn dabei nicht zu stören.

Bsirske verfügt über einen inneren Schalter

Wer nun allerdings meint, dass so etwas die Handlung eines Menschen ist, der sich nicht im Griff habe, liegt falsch. Denn es gibt auch den anderen Frank Bsirske. Sobald die Journalisten die Aufnahmeknöpfe ihrer Diktiergeräte drücken, legt sich bei Bsirske ein imaginärer Schalter um. Dann spricht der gebürtige Helmstedter in geschliffenen Schachtelsätzen auf dem Niveau eines Ökonomie-Experten — wenn auch mit äußerst linkem Anstrich.

Bsirske stammt aus einem politischen Elternhaus. Der Vater stand bei Volkswagen in Wolfsburg am Band, sympathisierte mit der KPD. Da lag es nahe, dass der Sohn dem Sozialistischen Schülerbund beitrat und Ende der 60er Jahre die ersten Schülerstreiks in Niedersachsen mitorganisierte. Mit 17 wurde Bsirske wegen parteischädigenden Verhaltens aus der SPD ausgeschlossen: Er hatte auf einer Liste für die Zulassung der DKP zur Wahl unterschrieben. Inzwischen hat er seine politische Heimat bei den Grünen gefunden.

Mit ihm kam die Kehrtwende

Als Gewerkschaftsfunktionär schaffte er es an die Spitze der mächtigen ÖTV und setzte sich nach deren Zusammenschluss mit vier weiteren Einzelgewerkschaften 2001 auch an die Spitze der neuen Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft. Verdi, dieses organisatorische Ungetüm, hat unter seiner Führung eine bemerkenswerte Entwicklung genommen.

"Die Dienstleistungsgewerkschaft stand ja schon einmal mit dem Rücken zur Wand und hat dank Bsirskes aggressiver Strategie die Kehrtwende geschafft, hat den Mitgliederschwund erstmals gestoppt", resümiert Hagen Lesch, Tarifexperte beim Institut der deutschen Wirtschaft (IW): "Verdi lebt von ihrer Führungsfigur."

Streik mobilisiert und macht attraktiv

Und diese Führungsfigur setzt wie kein Zweiter immer stärker auf Streiks, tritt deutlich aggressiver auf als seine Kollegen von den Industriegewerkschaften. Der Grund: In vielen Dienstleistungsberufen — etwa im Handel — ist es ungleich schwieriger, Mitglieder zu gewinnen. Das zeigten etwa die zähen Tarifverhandlungen im vergangenen Jahr. Ein weiterer Grund ist die wachsende Konkurrenz durch die Spartengewerkschaften. Darunter versteht man jene organisatorischen Zwerge, die aufgrund der strategischen Bedeutung ihrer Mitglieder ein Maximum herausholen können — etwa die Piloten, die ab Mittwoch für drei Tage den Flugbetrieb bei der Lufthansa lahmlegen wollen.

Weil Verdi aber nicht nur einzelne Berufsgruppen, sondern Branchen vertritt, und deshalb auf die Solidarität der Berufsgruppen untereinander angewiesen ist, muss die Großgewerkschaft häufiger mobilisieren. Ansonsten könnten weitere Berufsgruppen auf die Idee kommen, sich loszusagen. Bsirske kopiert inzwischen sogar die Streiktaktik der Spartengewerkschaften. Immer häufiger treffen seine Arbeitskämpfe die Flughäfen. So legten die privaten Sicherheitskräfte an den Passagierschleusen gleich mehrfach die Arbeit nieder, auch das Bodenpersonal tritt häufiger in den Ausstand, zuletzt am vergangenen Donnerstag — mit chaotischen Auswirkungen.

Eindruck schinden - auch das gehört zu den Motiven

"Ein Warnstreik soll dem Arbeitgeber signalisieren, dass da eine Grenze überschritten wurde", sagt Tarifexperte Lesch. "Da geht es um ein paar Stunden. Für zwei Tage komplett den Nahverkehr und für mehrere Stunden den Flugverkehr lahmzulegen, das hat aus meiner Sicht mit Warnstreik nichts mehr zu tun." Verdi sei inzwischen sogar streikfreudiger als die Spartengewerkschaften.

"Aus Sicht von Verdi hat der Streik etwas Identifikationsstiftendes. Da sieht der Verwaltungsangestellte, dass die Gewerkschaft für ihn auch die starken Flughafen-Kräfte mobilisiert. Das macht Eindruck und hat den Nebeneffekt, dass sich so weitere Mitglieder gewinnen lassen."

Kampfbereit mit bald 63

Ein Verdi-Sprecher bestätigt, dass es in einigen Branchen durch Streiks einen Mitgliederzuwachs gegeben habe — etwa bei den Sicherheitskräften. Interessant wird ab heute, ob sich die Arbeitgeber von Bsirskes zweiwöchigen Dauerstreiks beeindrucken lassen. Nach der zweiten Verhandlungsrunde hatte es noch geheißen, man habe sich angenähert — wohlgemerkt von beiden Seiten. Vom Streiken abgehalten hat das Bsirske nicht.

Eigentlich läuft seine Zeit bei Verdi bald ab. Beim Bundeskongress 2015 wäre er 63 Jahre alt. Ein Gewerkschafter, der gegen die Rente mit 67 und für die abschlagsfreie Rente mit 63 kämpft, müsste rechtzeitig seinen Hut nehmen. Doch auch in diesem Punkt blitzt seine Kampfbereitschaft durch. In einem Interview kündigte er jüngst an, er wolle es noch einmal wissen. Für so manchen Arbeitgeber und Bürger dürfte das nach einer Drohung geklungen haben.

(maxi)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort