Folgen des demografischen Wandels 2035 fehlen sieben Millionen Arbeitskräfte

Düsseldorf · Der demografische Wandel verschärft den Fachkräftemangel: Fehlen heute schon 1,8 Millionen Beschäftigte, weil die Bevölkerung immer älter wird, werden es 2035 sieben Millionen sein. Wie die Politik gegensteuern könnte.

Ein Auszubildender im Metall-Handwerk misst die Dicke eines Werkstücks (Symbolbild).

Ein Auszubildender im Metall-Handwerk misst die Dicke eines Werkstücks (Symbolbild).

Foto: dpa/Felix Kästle

Es ist eine Zahl, die aufhorchen lässt: Bis 2035 könnten mehr als sieben Millionen Beschäftigte auf dem deutschen Arbeitsmarkt fehlen – wenn die Politik nicht gegensteuert. Das zeigt eine aktuelle Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), einer Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit. Grund für die Entwicklung ist der demografische Wandel: Schon heute fehlen rund 1,8 Millionen Fachkräfte, weil die Bevölkerung immer älter wird. Um den fatalen Folgen für den Arbeitsmarkt entgegenzuwirken, müsste die Politik an mehreren Stellschrauben drehen, heißt es im Bericht zur Studie.

Eine Möglichkeit ist, mehr Frauen und Ältere in Jobs zu bringen, also ihre Erwerbsbeteiligung zu erhöhen. Bei günstigster Entwicklung würde das 2035 bis zu 3,4 Millionen Beschäftigte mehr bedeuten. Voraussetzung sind laut IAB drei optimistische Szenarien: Erstens müssten die Erwerbsquoten von Frauen ohne deutsche Staatsangehörigkeit im Alter von 15 bis 59 Jahren auf das Niveau von deutschen Frauen gesteigert werden. Das liegt derzeit bei 85 bis 90 Prozent in den mittleren Jahrgängen, bei nicht-deutschen Frauen im selben Alter rund 20 Prozentpunkte darunter. Zweitens sollten die Erwerbsquoten deutscher Frauen an die der deutschen Männer im Alter von 30 bis 59 Jahren angeglichen werden. Die haben eine Erwerbsquote von über 90 Prozent. Und den größten Effekt hätte das dritte Szenario: Würden die Erwerbsquoten der 60- bis 64-Jährigen und 65- bis 69-Jährigen jeweils auf das Niveau der Altersgruppe darunter angehoben werden, gäbe es 2035 rund 2,4 Millionen Beschäftigte mehr auf dem Arbeitsmarkt. Von den 55- bis 59-Jährigen sind nämlich rund 20 Prozent mehr Menschen beschäftigt als in der Altersgruppe 60 bis 64.

Damit all das einen Effekt hätte, müssten ältere Menschen besonders gut und lange in den Arbeitsmarkt integriert werden. Laut IAB wäre das zum Beispiel möglich, indem die Arbeitszeiten kürzer und flexibler gestaltet würden. Und um die Erwerbsquoten von Frauen zu erhöhen, müssten Kinderbetreuungsangebote und mobiles Arbeiten ausgebaut sowie Arbeitszeiten an die Bedürfnisse von Familien angepasst werden.

Eine weitere Stellschraube ist die Zuwanderung. Läge der Wanderungssaldo bei 330.000 pro Jahr, gewänne der Arbeitsmarkt bis 2035 rund 3,7 Millionen Beschäftigte hinzu. Unter dem Begriff versteht man die Differenz zwischen den Zuzügen nach Deutschland und den Abzügen ins Ausland. Im Juli 2021 lag der Saldo bei rund 330.000 Personen – allerdings war die Abwanderungsbereitschaft in der Pandemie mit sieben Prozent in den Jahren 2020 und 2021 auch besonders niedrig. In den 2010er Jahren lag sie bei etwas mehr als neun Prozent. Um die Wanderungssalden dauerhaft hoch zu halten, müssten sowohl Zuzugszahlen und als auch die Bleibebereitschaft steigen. Das würde Deutschland laut IAB unter anderem mit einer offenen Zuwanderungspolitik, geringeren Hürden bei der Anerkennung von Bildungsabschlüssen und gezielter berufsbegleitende Qualifizierung und Sprachförderung sowie klaren Perspektiven für Aufenthaltsrecht und Familiennachzug erreichen.

Weitere Erfolge im Kampf gegen die Folgen des demografischen Wandels könnte die Politik mit Vollbeschäftigung und Arbeitszeiten erreichen, die auf die Präferenz der Beschäftigten ausgeweitet sind. Denn nicht alle, die arbeiten möchten, bekommen auch Arbeit. Das wäre erst bei einer Arbeitslosenquote von zwei bis drei Prozent der Fall – derzeit liegt sie bei rund 5,3 Prozent. Und viele Minijobber und Teilzeitkräfte würden gerne länger arbeiten. Bei einer Untersuchung 2020 gaben zwölf Prozent der Männer und acht Prozent der Frauen an, keine Vollzeitstelle zu finden und deshalb in Teilzeit zu arbeiten. Würde die Politik beides angehen, könnten insgesamt rund drei Millionen Fachkräfte bis 2035 gewonnen werden.

Um den Arbeitsmarkt langfristig zu stabilisieren, müsste aber auch die Geburtenrate steigen. Entscheidend dafür ist, dass sich Beruf und Familie gut vereinbaren lassen. Da sich Geburten erst mit großer Verzögerung auswirkten, müssten heute schon umfassende Kinderbetreuungsangebote, partnerschaftliche Aufgabenteilung, flexible Arbeitsmodelle und familienpolitische Unterstützung angeboten werden, heißt es vom IAB. Seien die Rahmenbedingungen planbar und die Krisenpolitik effektiv, reduziere das die Unsicherheit junger Familien.

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