Die deutsche Autoindustrie schwächelt Warum uns die Krise so belastet

Berlin (RP). Unser Wohlstand hängt direkt mit der Nachfrage nach deutschen Autos im Inland und mehr noch im Ausland zusammen. Eine Auto-Krise hat neben ökonomischen aber auch mentale Folgen.

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Foto: AP

"Mama", mag bei Deutschlands neuen Erdenbürgern das erste Wort sein. Oder "Papa". Aber dann kommt sehr bald das Wort "Auto" dazu. Die Kleinen spüren schnell, wer in diesem Land neben ihnen das liebste Kind für viele ist: das eigene Fahrzeug. Statistiker zählen 20 Millionen Nähmaschinen in Deutschlands Haushalten, 24 Millionen Spülmaschinen. Aber 41 Millionen Autos. Jeder Zweite hat eins. Sagt die Statistik — und bezieht Säuglinge und Greise dabei mit ein. Bezogen auf die realistische Bezugsgruppe muss es also heißen: Fast jeder fährt Auto.

"Industrie der Industrien"

Deshalb gilt Ökonomen die Autobranche auch als "Industrie der Industrien". 750.000 Beschäftigte direkt plus Hunderttausende in den Zuliefererbetrieben — das sichert bereits zu einem großen Teil auch die Staatseinnahmen. Allein Daimler überweist jährlich rund eine Milliarde Euro an Steuern. Hinzu kommen weitere Milliarden für die Sozialkassen. Strauchelt die Autobranche, stolpert auch der Staat.

Die Politik weiß das. An der Spitze steht ein "Autokanzler", mag er nun Schröder oder Merkel heißen. Jedenfalls lassen sie auf die Interessen der deutschen Autobauer nichts kommen. Dafür legen sie sich auch schon mal mit Brüssel an, wenn dort Normen europaweit festgelegt werden sollen, die der Umwelt helfen, aber den deutschen Automarken im Wettbewerb schaden könnten. Und wie selbstverständlich gehört zu den jüngsten Überlegungen eines Konjunkturprogramms auch ein Steuervorteil für umweltbewusste Autokäufer.

Die Autoindustrie erwirtschaftet 290 Milliarden Euro

Schließlich sind in dieser Branche Zahlen üblich, die schwindlig machen. Der Gesamtumsatz der deutschen Automobilindustrie betrug vergangenes Jahr mehr als Deutschland im ganzen Jahr für alle bundesstaatlichen Aufgaben zur Verfügung hat: 290 Milliarden Euro. Der Bundeshaushalt 2009: 288 Milliarden.

Deutschlands Wohlstand hängt auch mit dem gewaltigen Erfolg deutscher Waren im Ausland zusammen. Glatt die Hälfte davon steuern die heimischen Autokonzerne bei. Das bedeutet zugleich: Sinkt weltweit die Kaufkraft, stürzt auch der Stützpfeiler der Konjunktur in Deutschland zusammen. Verkaufen sich deutsche Autos im Ausland nicht mehr, sind die Auswirkungen für die deutschen Firmen katastrophal: 105 Milliarden erwirtschaften sie im Inland, 185 Milliarden im Ausland.

Die Zukunft gehört den Spritsparern

Deshalb schlägt die Weltfinanzkrise auf die deutschen Autofirmen schneller durch als es das Kaufverhalten der Deutschen vermuten lässt. Auch perspektivisch ist Nervosität leicht zu erklären: Experten sagen voraus, dass angesichts der Umweltproblematik und der Einkommensentwicklung in den Schwellenländern vor allem zwei Typen von Autos immer mehr gefragt sein werden: Spritsparer, die mit heute kaum vorstellbaren Minimengen an Benzin auskommen, und Billigfahrzeuge, die ihre Besitzer bereits zum Preis einer Ikea-Schrankwand mobil machen. In beiden Segmenten sahen deutsche Autobauer die Konkurrenz an sich vorbeiziehen. Es ist nur ein schwacher Trost, dass Deutschlands Image als Hort bester Wertarbeit nicht gelitten hat.

Die mythische Bedeutung des Autos

Aber die nüchternen Zahlen können noch nicht die ganze Faszination erklären, die Menschen für das Auto empfinden. Es hat für sie geradezu mythische Bedeutung. Der Status des Einzelnen ist nicht nur auf dem Firmenparkplatz an Marke und PS-Zahl abzulesen. Auch im Alltag definieren sich viele Kerle über die Karosserie. Wenn sich bei Autoschauen halbnackte Schönheiten auf blankem Blech räkeln, tragen sie der Sehnsucht Rechnung, wonach schöne Frauen auf Typen in tollen Autos fliegen.

Die offensichtliche Überlegenheit der Marktwirtschaft spürten Westdeutsche auf den Transitstrecken, wenn sie mit ihren PS-Protzen tuckernde DDR-"Rennpappe" überholten. Denkt die ältere Generation an das "Wirtschaftswunder", hat sie zumeist ihr erstes eigenes Auto vor Augen. Stürzt die deutsche Autoindustrie in eine schweren Krise, dann ist das für viele Deutsche deshalb nicht nur ökonomisch, sondern auch mental schwer zu verkraften.

(RP)
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