Interview mit Chefin des GKV-Spitzenverbandes "Private Kassen sind nicht tragfähig"

Berlin · Die Chefin des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV), Doris Pfeiffer, hat die Private Krankenversicherung (PKV) scharf angegriffen: "Ich bin überzeugt, dass das Geschäftsmodell der PKV auf Dauer nicht tragfähig ist", sagte Pfeiffer unserer Redaktion.

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Foto: AP

"Die Politik geht immer mehr Schritte, um der PKV unter die Arme zu greifen, damit sie nicht umfällt", sagte Pfeiffer. Die PKV profitiere nun zum Beispiel vom Arzneimittelsparpaket, das für die gesetzlichen Kassen geschnürt worden sei. Pfeiffer sagte auch: "Meine Einschätzung ist, dass das Geschäft der Privaten Krankenversicherung von selbst ausläuft." Künftig würden sich immer mehr Unternehmen aus dem Krankenversicherungsgeschäft zurückziehen.

Im Interview mit unserer Redaktion sprach Pfeiffer zudem über die Überschüsse in den Krankenkassen und die Praxisgebühr.

Warum bestehen die Krankenkassen trotz satter Überschüsse auf die Beibehaltung der Praxisgebühr?

Pfeiffer: Die Praxisgebühr bringt jährlich rund zwei Milliarden Euro ein. Wenn man die Praxisgebühr abschaffen will, muss man über eine alternative Einnahmequelle reden. Wir haben zwar im vergangenen Jahr Überschüsse erreicht, aber wir denken auch an die Zukunft.

Als die Praxisgebühr eingeführt wurde, hat man sich eine Steuerungswirkung für weniger Arztbesuche erhofft. Das hat nicht geklappt. Muss die Praxisgebühr reformiert werden?

Pfeiffer: Im Koalitionsvertrag gibt es ja den Auftrag für eine Reform der Praxisgebühr. Bei einer Reform muss man versuchen, die Einnahmen beizubehalten und die Steuerungswirkung zu verbessern, ohne die Menschen von notwendigen Arztbesuchen abzuhalten.

Haben die Krankenkassen dazu einen eigenen Vorschlag?

Pfeiffer: Nein. Die Politik hatte die Praxisgebühr seinerzeit eingeführt, jetzt ist es an ihr, entsprechende Reformen anzustoßen.

Der Finanzminister wird im nächsten Jahr dem Gesundheitsfonds zwei Milliarden Euro entziehen. Können Sie das verkraften?

Pfeiffer: Wir reden seit vielen Jahren davon, dass wir in den Sozialsystemen nachhaltig wirtschaften müssen. Wir haben in der Rentenversicherung eine Nachhaltigkeitsreserve, die zwischen 0,2 und 1,5 Monatsausgaben liegt. Wenn diese anderthalb Monatsausgaben überschritten werden, wird der Beitragssatz gesenkt. Übertragen auf die Krankenversicherung würde das bedeuten, dass die Reserven insgesamt bis zu 22 Milliarden Euro betragen können. Aktuell sind wir in der GKV bei rund 19 Milliarden Euro Überschuss. Das heißt, ich sehe überhaupt keinen Grund, über die Ausschüttung von Geldern oder die Kürzung von Bundeszuschüssen zu reden.

Fordern Sie für die Krankenkassen eine gesetzlich festgelegte Reserve, wie man sie auch in der Rentenversicherung hat?

Pfeiffer: Es wäre sinnvoll, wenn die Gesetzliche Krankenversicherung wie dies auch die Rentenversicherung hat, über eine gesetzlich festgelegte Rücklage verfügen würde. Über die Höhe muss man sicher noch diskutieren.

Ihre Kritiker sagen Krankenkassen sind keine Sparkassen. Was spricht gegen eine Kürzung des Bundeszuschusses?

Pfeiffer: Mit dem Bundeszuschuss finanzieren wir versicherungsfremde Leistungen wie Krankengeld, Mutterschutz und die beitragsfreie Mitversicherung von Kinder und Ehegatten. Diese Ausgaben haben sich nicht reduziert. Es gibt also keinen Grund, die Leistungen zu kürzen. Wir müssen auch bedenken, dass die Krankenkassen im Durchschnitt pro Jahr einen Ausgabenanstieg von 3,5 Prozent und einen Einnahmeanstieg von 1,5 Prozent haben. Das heißt, es entsteht jedes Jahr eine Lücke. Die aktuelle Lage ist eine Ausnahmesituation.

Im vergangenen Jahr hatte Sie die komfortable Situation, dass die Ausgaben der Kassen nur um 2,5 Prozent angestiegen sind. Woran liegt das? Zahlen die Kassen weniger?

Pfeiffer: Ein deutlicher Ausgabenrückgang ist durch die Einsparungen bei den Arzneimitteln zu verzeichnen gewesen. Zudem sind die Verwaltungskosten der Kassen gesunken und der Ausgabenanstieg bei Ärzten und Krankenhäusern wurde halbwegs im Zaum gehalten.

Die Sozialverbände werfen den Kassen vor, dass sie auch an Leistungen sparen, um Zusatzbeiträge zu verhindern - beispielsweise bei den Mutter-Vater-Kind-Kuren.

Pfeiffer: Das Thema diskutieren wir seit Jahren. Der in der Öffentlichkeit teils erweckte Eindruck, dass zu viele Mutter-Vater-Kind-Kuren abgelehnt werden, ist nicht richtig. Für die Genehmigung einer solchen Kur bedarf es einer medizinischen Begründung. Häufig werden aber nur soziale, nicht gesundheitliche Indikationen gestellt. Die Rahmenbedingungen für die Genehmigung der Kuren wurden im vergangenen Monat im Einvernehmen z. B. mit dem Müttergenesungswerk noch präziser gefasst, um auch für die Versicherten mehr Klarheit zu schaffen.

Die CDU hat die Existenz der Privaten Krankenversicherung in Frage gestellt. Wie sehen Sie das?

Pfeiffer: Die PKV hat offenkundig ein Existenzproblem. Ich bin überzeugt, dass das Geschäftsmodell der PKV auf Dauer nicht tragfähig ist. Die PKV kämpft seit Jahren mit steigenden Ausgaben. Die Ausgabensteigerungen sind höher als in der gesetzlichen Krankenversicherung. Die PKV hat keine Instrumente, das in den Griff zu bekommen.

Wie macht sich das bemerkbar?

Pfeiffer: Die Politik geht immer mehr Schritte, um der PKV unter die Arme zu greifen, damit sie nicht umfällt. Die PKV profitiert nun zum Beispiel vom Arzneimittelsparpaket, das für die gesetzlichen Kassen geschnürt worden war. Einige Versicherungsunternehmen haben von sich aus schon in Frage gestellt, ob das Vollversicherungsgeschäft künftig noch ein Feld für sie sein wird.

Sie rechnen also mit Selbstauflösung?

Pfeiffer: Ich glaube nicht, dass es einer politischen Entscheidung bedarf. Meine Einschätzung ist, dass das Geschäft der Privaten Krankenversicherung von selbst ausläuft, weil das Geschäftsmodell auf Dauer nicht tragfähig ist. Es werden sich immer mehr Unternehmen aus dem Krankenversicherungsgeschäft zurückziehen. Auch bei den Versicherten macht sich eine zunehmende Skepsis gegenüber der PKV breit. Im vergangenen Jahr ist die Zahl der Wechsler von den Privaten zu den Gesetzlichen auf 160.000 gestiegen.

(rm)
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