Jahresgutachten zur sozialen Lage Paritätischer sieht Bevölkerungsteile von Wirtschaftsaufschwung abgehängt

Berlin · Die Wirtschaft brummt, die Arbeitslosigkeit ist auf sehr niedrigem Niveau. Trotzdem sieht der Paritätische Wohlfahrtsverband große Teile der Bevölkerung vom derzeitigen wirtschaftlichen Aufschwung abgehängt.

 Bei vielen Menschen kommt der wirtschaftliche Aufschwung in Deutschland nicht an (Symbolbild).

Bei vielen Menschen kommt der wirtschaftliche Aufschwung in Deutschland nicht an (Symbolbild).

Foto: imago/imagebroker/imageBROKER/Jan Tepass

Dies bedeute "eine Gefährdung des sozialen Zusammenhalts in Deutschland", erklärte der Verband zu seinem am Dienstag in Berlin vorgestellten Jahresgutachten zur sozialen Lage in Deutschland. Der Verband forderte "ein soziales Reform- und Investitionsprogramm", um dem entgegenzuwirken.

Der Verbandsvorsitzende Rolf Rosenbrock sprach mit Blick auf die Gesetzgebung der vergangenen Jahre von einem "doppelten Defizit". So fehle es zum einen "an politischen Maßnahmen, die gezielt darauf gerichtet sind, gerade besonders von Einkommensarmut betroffene oder gefährdete Personengruppen zu unterstützen". Auf der anderen Seite fehle auch "der politische Wille, die bestehende Ungleichheit durch eine stärkere Besteuerung leistungsfähiger Bevölkerungsgruppen beseitigen zu helfen". Die Folge sei, dass sich inzwischen fast 90 Prozent der Menschen um den sozialen Zusammenhalt sorgten.

Dringenden Handlungsbedarf sieht der Paritätische besonders bei der Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit und von Altersarmut. Darüber hinaus fordert der Verband mehr Investitionen im Gesundheitsbereich, den Ausbau sozialer Beratungsleistungen und mehr staatliche Anerkennung für gemeinnützige und soziale Initiativen.

"Die soziale Spaltung, die Menschen verunsichert und mit für den Aufstieg rechtsextremer Parteien verantwortlich ist, muss bekämpft werden", forderte Rosenbrock. Dies gelinge nur, wenn Brücken gebaut würden, "die herausführen aus Einsamkeit, Arbeitslosigkeit und Desintegration und zu einem neuen sozialen Zusammenhalt beitragen". Ansonsten drohe eine weitgehende "Entkopplung zwischen Eliten und sogenannten sozialen Verlierern", warnte der Sozialverband.

Mit Blick auf die Steuerpolitik kritisiert der Paritätische in dem Jahresgutachten, dass gerade Einkommensschwache durch indirekte Steuern wie die Mehrwertsteuer überproportional belastet würden. "Das deutsche Steuersystem verschärft soziale Ungleichheit, indem es zu wenig solidarisch umverteilt", erklärte dazu der Verband.

Der Paritätische forderte eine deutliche Anhebung des Mindestlohns von derzeit 8,84 Euro auf zwölf Euro pro Stunde sowie eine Stärkung der Arbeitslosenversicherung. "Wenn nicht einmal mehr 30 Prozent der registrierten Arbeitslosen Arbeitslosengeld beziehen und davon zehn Prozent mit Grundsicherungsleistungen aufstocken müssen, verliert die Arbeitslosenversicherung an Legitimität", heißt es in dem Gutachten.

Zudem müsse das Hartz-IV-System grundlegend reformiert und Sanktionen sowie Zumutbarkeitsregeln für Arbeitslose abgeschafft werden. Die Hartz-IV-Regelsätze müssten um zehn Prozent steigen. Das Rentenniveau müsse wieder auf 53 Prozent steigen.

(felt/AFP)
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