Negativ-Zinsen Zehnjährige Bundesanleihen rutschen erstmals ins Minus

Frankfurt/Main · Erstmals in der Geschichte sind die Renditen für zehnjährige Bundesanleihen ins Minus gerutscht. Anleger sind mittlerweile bereit, bei deutschen Staatsanleihen bis zu einer Laufzeit von zehn Jahren quasi eine Gebühr zu bezahlen, statt Zinsen zu kassieren.

Negativ-Zinsen: Zehnjährige Bundesanleihen rutschen erstmals ins Minus
Foto: dpa, Marijan Murat

Als Grund machen Analysten die Furcht vor einem britischen EU-Austritt aus. "Zur jetzigen Bewegung massiv beigetragen haben die sich verstärkten Unsicherheiten um einen möglichen Brexit, die die Investoren in den sicheren Hafen der Bundesanleihen treibt", sagte der Chefvolkswirt der Dekabank, Ulrich Kater.

Am Dienstag waren zehnjährige Bundesanleihen am Markt so stark gefragt, dass der Zinssatz auf minus 0,03 Prozent fiel. Die Papiere sind das wichtigste Instrument der Bundesregierung, um ihre Schulden zu finanzieren. Damit werden mittlerweile alle Bundesanleihen bis zu einer Laufzeit von zehn Jahren am Markt mit einer negativen Rendite gehandelt.

Fiskus reibt sich die Hände

Während sich die Lage für Sparer immer weiter verschärft, profitiert der deutsche Fiskus von der Entwicklung am Rentenmarkt. "Aus Sicht des Steuerzahlers sind die niedrigen Renditen sicher erfreulich, da sie die Zinsausgaben im Bundeshaushalt reduzieren", teilte die Deutsche Finanzagentur mit, die für die Ausgabe von Bundesanleihen zuständig ist.

Hingegen zeigte sich der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) entsetzt. GDV-Chefsvolkswirt Klaus Wiener nannte die Entwicklung ein "trauriges Kapitel in einem von der Geldpolitik verzerrten europäischen Anleihemarkt". Er warnte vor Stabilitätsrisiken: "Denn mit der früher oder später zu erwartenden Normalisierung des Zinsniveaus drohen massive Belastungen für die Konjunktur und die Finanzmärkte."

In der Eurozone ist Deutschland bisher das einzige Land mit einer negativen Rendite in der zehnjährigen Laufzeit. Allerdings fielen die Renditen von zahlreichen weiteren europäischen Ländern auf neue Rekordtiefs, darunter die zehnjährigen Papiere aus Österreich und den Niederlanden, die nur knapp über der Nullmarke rentierten.

Auch in den USA sind die Renditen stark unter Druck. Weitere sichere Häfen sind am Devisenmarkt zu finden, wo der Schweizer Franken, der japanische Yen und auch der US-Dollar zulegte. Zuletzt war auch der Goldpreis deutlich gestiegen.

Brexit-Befürworter liegen vorne

Zuletzt hatten Umfrageergebnisse gezeigt, dass die Befürworter eines Brexits mittlerweile in Führung liegen. Außerdem hatte mit der britischen Boulevardzeitung "The Sun" das auflagenstärkste Blatt des Landes zum Austritt aus der Europäischen Union aufgerufen.

Neben der Brexit-Furcht sieht Dekabank-Experte Kater auch die ultralockere Geldpolitik führender Notenbanken als Ursache für die große Nachfrage nach den Staatsanleihen. Im Kampf gegen die ungewöhnlich niedrige Inflation versucht die Europäische Zentralbank (EZB), mit einer immer aggressiveren Geldpolitik entgegenzuwirken.

So pumpt die EZB Monat für Monat Milliarden in den Finanzmarkt, unter anderem über den Kauf von Staatsanleihen. Diese Nachfrage wirkt ebenfalls als Kurstreiber und drückt entsprechend auf die Renditen. "Mit der EZB ist aktuell ein sehr großer Investor mit stetiger Nachfrage im Markt tätig", kommentierte die Deutsche Finanzagentur.

Während viele Staatsanleihen ganz oben auf den Kaufzetteln der Anleger stehen, wird das Geld aus eher riskanten Anlagen wie zum Beispiel Aktien abgezogen. An der Frankfurter Börse fiel der Dax am Dienstag um 0,97 Prozent auf 9564,20 Punkte und lag auf dem tiefsten Stand seit mehr als zwei Monaten. Er baute damit seine Verlustserie im Verlauf einer Woche auf rund sieben Prozent aus. Am Dienstagmorgen hatte es bereits an den asiatischen Börsen Kursverluste gegeben. Zu den großen Verlierern zählte auch das britische Pfund, das im Handel mit dem US-Dollar auf den tiefsten Stand seit zwei Monaten rutschte.

Auch Dax im Minus

Der deutsche Aktienmarkt hat sich am Dienstag nach einem schwachen Start auf niedrigerem Niveau stabilisiert. Wie bereits an den vorigen Handelstagen hat die Furcht vor einem Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union viele Anleger in die Flucht getrieben. Fallende Ölpreise sowie die übliche Nervosität vor der US-Leitzinsentscheidung am Mittwoch lasteten zusätzlich auf den Kursen.

Der Dax notierte am Nachmittag 0,91 Prozent tiefer bei 9569 Punkten. Er zeigte sich damit etwas erholt von seinem vormittäglichen Tiefstand knapp über der Marke von 9500 Zählern - ein Niveau, dass er seit Anfang April nicht mehr erreicht hatte. Seit vergangenen Dienstag hat der Leitindex bereits rund 7 Prozent eingebüßt.

Der MDax, in dem die Aktien mittelgroßer Unternehmen vertreten sind, sank am Dienstag um 1,08 Prozent auf 19.586,55 Punkte. Der Technologiewerte-Index TecDax fiel um 1,99 Prozent auf 1579,80 Punkte. Für den Eurozonen-Leitindex EuroStoxx 50 ging es um 1,32 Prozent auf 2815,81 Punkte nach unten.

"Die Angst vor einem Austritt Großbritanniens aus der EU hat fast jegliche Risikobereitschaft an den europäischen Kapitalmärkten zum Erliegen gebracht", kommentierte LBBW-Investmentanalyst Werner Bader. Die jüngsten Umfragen sehen das Lager der EU-Gegner in Großbritannien mittlerweile vorn. Die Briten stimmen am 23. Juni ab, ob ihr Land in der EU bleiben soll oder nicht.

Schlusslicht im Dax waren die Aktien von RWE mit einem Kursabschlag von 4,41 Prozent. Die Ratingagentur Standard & Poor's (S&P) hat die Bonität des Versorgers um eine Stufe auf "BBB-" gesenkt.

Xing-Aktien wurden zuletzt mit plus 1,90 Prozent bei 176,55 Euro gehandelt. Tags zuvor waren sie im Zuge der ersten Begeisterung über die LinkedIn-Übernahme durch Microsoft sogar zwischenzeitlich auf fast 190 Euro hochgeschossen. Mittelfristig sieht Analyst Jochen Reichert von Warburg Research die Chance, dass der US-Softwareriese auch Xing übernehmen könnte.

Am Rentenmarkt sank die Umlaufrendite börsennotierter Bundeswertpapiere von minus 0,09 Prozent am Vortag auf ein Rekordtief von minus 0,12 Prozent. Der Rentenindex Rex stieg um 0,20 Prozent auf 143,21 Punkte. Der Bund-Future gewann 0,27 Prozent auf 165,21 Punkte. Der Kurs des Euro fiel: Die Europäische Zentralbank (EZB) setzte den Referenzkurs auf 1,1225 (Montag: 1,1268) US-Dollar fest. Der Dollar kostete damit 0,8909 (0,8875) Euro.

(felt/dpa)
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