Auf 9,50 Euro Kritik an Erhöhung des Mindestlohns

Berlin · Die unabhängige Mindestlohnkommission einigt sich auf einen langsamen Anstieg der Lohnuntergrenze im kommenden Jahr. Mitte 2022 ist ein größerer Sprung auf 10,45 Euro geplant. Bei Arbeitgebern und manchen Ökonomen stößt der Beschluss auf Kritik.

 Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD).

Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD).

Foto: dpa/Christophe Gateau

Der Mindestlohn für etwa zwei Millionen Beschäftigte soll in vier Schritten bis Mitte 2022 von derzeit 9,35 Euro pro Stunde auf 10,45 Euro steigen. Das hat die unabhängige Mindestlohnkommission aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern am Dienstag nach zähen, langwierigen  Diskussionen empfohlen. Zum 1. Januar 2021 soll die Lohnuntergrenze zunächst nur moderat und zwar um 15 Cent auf 9,50 Euro angehoben werden. Zum 1. Juli 2021 ist eine weitere Anpassung auf 9,60 Euro vorgesehen. Zum Jahresbeginn 2022 folgt ein weiterer Schritt auf 9,82 Euro. Erst Mitte 2022 ist ein letzter, größerer Schritt auf 10,45 Euro vorgesehen. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) kündigte an, die Empfehlungen zügig per Verordnung umzusetzen.

Der gesetzliche Mindestlohn war 2015 mit einem Betrag von 8,50 Euro pro Stunde eingeführt worden. Er wird alle zwei Jahre von einer 13-köpfigen unabhängigen Kommission für die folgenden Jahre neu festgelegt. Dabei soll sich die Kommission an der allgemeinen Tariflohnentwicklung der zurückliegenden zwei Jahre, an der Inflation und der Konjunkturlage orientieren. Erstmals seit 2015 rutschte die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr in eine tiefe Rezession: Deshalb war die Entscheidung mit besonderer Spannung erwartet worden. Ohne den Ausbruch der Corona-Krise hätte der Mindestlohn auf der Basis der bisherigen Tariflohnentwicklung bereits Anfang 2021 auf über 9,80 Euro steigen müssen.

 Die Sitzung der Kommission dauerte am Dienstag deutlich länger als geplant: Der Beratungsbedarf war besonders groß. Denn die Arbeitnehmerseite hatte zuvor erheblichen Druck ausgeübt, den Mindestlohn stärker anzuheben. Ihre Zielmarke liegt perspektivisch bei zwölf Euro. Dagegen argumentierte die Arbeitgeberseite mit der tiefsten Krise der Nachkriegszeit: Viele Unternehmen kämpften in der Corona-Krise ums Überleben.

 „Vor dem Hintergrund dieser beispiellosen wirtschaftlichen Rezession, war es das Gebot der Stunde, dass auch die Mindestlohnanhebung der derzeitigen Wirtschafts- und Arbeitsmarktsituation Rechnung tragen muss“, sagte Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA). Deshalb habe sich die Mindestlohnkommission im ersten Schritt nur auf den Inflationsausgleich konzentriert. „Durch die niedrigeren gestaffelten Anpassungsschritte für das Jahr 2021 schaffen wir vor allem für kleine und mittelständische Betriebe mehr Luft, da diese durch die Corona-Krise besonders hart getroffen sind und um ihre wirtschaftliche Existenz kämpfen müssen“, so Kampeter.

  „Der von Vielen geäußerte Wunsch nach einer Aussetzung der Erhöhung konnte sich in der Kommission am Ende nicht durchsetzen“, betonte Stefan Körzell, Vertreter des Deuschen Gewerkschaftsbundes (DGB) in der Kommission. „Im Jahr 2023 setzt die nächste Entscheidung der Mindestlohnkommission auf 10,45 Euro auf. Das ist ein deutlicher Schritt, um schneller zu den geforderten zwölf Euro zu kommen.“

 Kritik an dem Beschluss kam vom früheren Chef der Wirtschaftsweisen Christoph Schmidt, Chef des Essener Wirtschaftsforschungsinstituts RWI.  „Die Folgen der Corona-Pandemie stellen den deutschen Arbeitsmarkt bereits jetzt vor große Herausforderungen, nicht zuletzt, weil sie die Existenz vieler Unternehmen gefährden“, sagte Schmidt unserer Redaktion. „Vor allem sind Verlauf und Ausmaß der erhofften gesamtwirtschaftlichen Erholung noch sehr unsicher. In dieser Situation empfiehlt es sich, gering ausgebildeten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nicht noch zusätzlich die Chance auf Beschäftigung zu nehmen, indem man ihre Arbeit drastisch verteuert. Daher wäre anzuraten gewesen, die verabredete regelgebundene Vorgehensweise beizubehalten und den Mindestlohn moderat anzuheben. Der Beschluss der Mindestlohnkommission wird diesem Vorsichtsprinzip nur bedingt gerecht.“

  Dagegen sagte der Duisburger Ökonom Achim Truger, von den gewerkschaften entsandtes Mitglied im Rat der Wirtschaftsweisen: „Die Empfehlung mit zunächst nur geringen und ab 2022 kräftigen Anhebungen ist ein sinnvoller Kompromiss. Perspektivisch ist eine Erhöhung auf zwölf Euro sozialpolitisch gut begründet und beschäftigungspolitisch unschädlich.“ In diese Richtung gingen die kräftigen Schritte 2022. Gleichzeitig werde für die Zeit der Corona-Krise den Sorgen der Betriebe Rechnung getragen. „Eine Aussetzung der Anhebung oder gar Kürzungen wären ein schlechtes Signal an die Beschäftigten gewesen."

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