Verstaatlichungen von Banken Marktliberale werden kommunistisch

Düsseldorf (RPO). In den letzten Jahren haben sich die Staaten immer mehr aus dem Wirtschaftsgeschehen zurückgezogen. Doch im Zuge der Finanzkrise folgt der Schritt zurück in die Zukunft. Ausgerechnet die marktliberalen Wirtschaftsmächte USA und Großbritannien verstaatlichen im großen Stil Banken. Islands Regierung nahm mit der Kaupthing das landesgrößte Geldinstitut unter seine Fittiche. In Deutschland sieht Finanzminister Steinbrück vorerst keinen Anlass für einen solchen Schritt.

Wenn das Margaret Thatcher noch erlebt hätte. Sie hätte wohl die Hände vor dem Kopf zusammengeschlagen. In einer dramatischen, bisher einmaligen Rettungsaktion hat Großbritannien acht der größten Privatbanken, darunter so namhafte Institute wie Barclays und die Royal Bank of Scotland in die Obhut des Staates genommen. Ausgerechnet im Geburtsland des Neoliberalismus steigt der Staat mit 65 Milliarden Euro bei acht großen Finanzinstituten ein.

"Es ist keine Zeit für konventionelles Denken oder angestaubte Dogmen, sondern es ist Zeit für mutige und weitreichende Entscheidungen", begründete Premierminister Gordon Brown den Schritt. Wegen der Finanzkrise waren die Aktien von Europas größter Bank, der Royal Bank of Scotland, um 42 Prozent abgerutscht. Die Finanzbranche der Insel ist zum "englischen Patienten" geworden.

In der Londoner City geht die Angst um. Nun will die Regierung zunächst Privatbanken wie Barclays, Royal Bank of Scotland oder Lloyds TSB bis zu 65 Milliarden Euro im Umtausch gegen Aktien als Notkapitalspritze zur Verfügung stellen. Londoner Analysten bezeichneten die Aktion als "einmalig" und "atemberaubend". Auch die Zentralbank will deutlich mehr Geld in den instabilen britischen Finanzmarkt pumpen.

Nachdem auch Frankreichs Regierung gestern erklärt hatte, notfalls zur Übernahme von Anteilen der Banken bereit zu sein, wächst mit dem Schritt auch der Druck auf das von Experten als zu zaghaft kritisierte Krisenmanagement der Bundesregierung. Ein Strategiewechsel hin zu einer "großen Lösung" ist indes nicht in Sicht.

Vorerst keine Intervention in Deutschland

Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) sieht in Deutschland bislang keine Notwendigkeit für Verstaatlichungen nach dem Vorbild Großbritanniens, will einen solchen Schritt aber nicht grundsätzlich ausschließen. Der deutsche Bankensektor sei schlimm genug, aber bisher weniger stark von der Finanzkrise betroffen, sagte Steinbrück dem "Handelsblatt".

"Das kann sich aber ändern, weil die Unsicherheiten über die weitere Entwicklung derzeit viel zu hoch sind", fügte er an. Nun komme es darauf an, dass die Politik zusammen mit der Finanzwirtschaft und den Zentralbanken für eine Beruhigung der Märkte sorgt.

Der Kölner Bankenexperte Wolfgang Spörk bestätigte, dass das deutsche Bankensystem kaum mit dem britischen zu vergleichen ist. "Das angelsächsische Modell ist risikoreicher. So ist das Investmentbanking, das bei uns kaum institutionalisiert ist, zyklischer. Unser System ist vielleicht langweiliger, aber dafür auch stabiler", sagte der Dozent am Seminar für Bankbetriebslehre an der Universität Köln.

Auch Bernhard Herz, Finanz-Experte an der Universität Bayreuth, stützt diese These. "In Großbritannien spielen die privaten Banken eine viel wichtigere Rolle als in Deutschland", sagt er. "Das liegt daran, dass es dort keine Sparkassen gibt." Auch Peer Steinbrücks Staatssekretär Asmussen verweist auf die Stabilität des dreigliedrigen Systems aus Sparkassen, Genossenschaftsbanken und Privatbanken in Deutschland.

Auch in traditionell wirtschaftsliberalen Kreisen werden die Interventionen des Staates inzwischen als notwendig und richtig erkannt. Hermann Otto Solms, Finanzexperte der FDP, setzt die Schwerpunkte der Krisenbewältigung zwar weiterhin auf eine umfassende Bankenregulierung und effizientere, internationale Vereinbarungen, aber auch er betont: "Als ultima ratio darf man die Verstaatlichung von Banken nicht ausschließen." Dass der liberale Finanzpolitiker so etwas einmal sagen würde, hatte er wohl selbst nicht gedacht.

Verstaatlichungswelle

Derweil droht dem westlichen Wirtschaftssystem eine Verstaatlichungswelle. In Island ist jetzt auch die isländische Kaupthing Bank verstaatlicht worden. Wie die Finanzaufsicht des Landes am Donnerstag mitteilte, übernahm sie die Kontrolle über die Bank. Die inländischen Einlagen seien vollständig gesichert. Die Kaupthing-Bank ist auch auf dem deutschen Markt aktiv und hat auch dort Sparer mit besonders hohen Zinsen gelockt.

Angesichts der dramatischen Lage im Finanzsektor denkt die US-Regierung auch über eine teilweise Verstaatlichung von Banken nach. Das verlautete am Mittwoch aus Regierungskreisen in Washington. Die vom Kongress jetzt im Rahmen des 700 Milliarden Dollar umfassenden Rettungspakets gewährten Vollmachten zum Umgang mit der Finanzkrise eröffneten der Regierung eine Reihe von Möglichkeiten, hieß es. Ein derartiger staatlicher Einstieg bei Banken wäre zu vergleichen mit dem Vorgehen der Briten.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort