Europa steckt tief in der Schuldenkrise Griechenland - Bürgen reicht nicht

Brüssel (RP). Die EU streitet über den Umgang mit Griechenland. Das 110-Milliarden-Euro-Rettungspaket reicht nicht aus. Kaum einer mag noch daran glauben, dass die Hellenen ihre Schulden zurückzahlen können. Stattdessen mehren sich die Anzeichen für eine Umschuldung. Die Ratingagentur Standard & Poor's stufte die Kreditwürdigkeit des Landes am Montag drastisch zurück. Und jetzt?

2010: So funktioniert die Griechenland-Nothilfe
Infos

2010: So funktioniert die Griechenland-Nothilfe

Infos
Foto: AP

Die Schuldenkrise spitzt sich zu: Griechenland braucht mehr Hilfe, um eine Pleite abzuwenden. Am Freitag trafen sich hochrangige Vertreter der Eurozonen-Kernländer und verunsicherten mit endlosen Dementis die Märkte. Fachleute diskutierten über das Wochenende aufgeregt, wohin Europa in der Schuldenkrise zusteuert.

Nach dem Geheimtreffen der großen Euro-Länder lief die Debatte über ein zweites Hilfspaket für Griechenland am Montag auf Hochtouren. Zeitgleich wurde über einen Medienbericht bekannt, dass nach der Ratingagentur Standard & Poor's auch die britische Agentur Fitch die Kreditwürdigkeit Griechenlands weiter herabstufen will. Nach Informationen der "Süddeutschen Zeitung" soll die Note für die griechischen Staatsschulden von derzeit BB+ auf B oder B- fallen. Damit hätten griechische Anleihen auf der Skala der Kreditwürdigkeit nur noch unteren Ramschstatus, berichtete die Zeitung vorab aus ihrer Dienstagausgabe.

Der Handlungsdruck wächst. Schon Mitte Mai könnten die EU-Finanzminister ein SOS-Pakt schnüren. Eine Umschuldung, bei der Gläubiger auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten müssen, wird immer wahrscheinlicher. Sogar die Idee eines Athener Austritts aus der Euro-Zone findet Anhänger.

Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick

Warum reicht das 110-Milliarden-Hilfs-Paket zur Rettung Athens nicht?

Griechenland steckt in einem Teufelskreis. Als Gegenleistung für die internationalen Milliarden-Hilfen muss die Regierung strenge und unbeliebte Sparauflagen erfüllen. Die Einschnitte würgen die griechische Wirtschaft ab, so dass Wachstum und Einnahmen fehlen, um aus der Krise zu kommen. Denn das südeuropäische Land sitzt auf einem Schuldenberg in Höhe von 340 Milliarden Euro.

"Griechenland müsste zehn Prozent seiner Wirtschaftsleistung an Zinsen und Tilgung zahlen. Jahr für Jahr und ohne, dass ein Ende absehbar wäre", sagt Barry Eichengreen, Professor an der US-Elite-Hochschule Berkley. "Wo soll das Wachstum herkommen, das dafür nötig ist?" Dass die Griechen — wie geplant — 2012 wieder auf eigenen Füßen stehen und Staatsanleihen ohne fremde Hilfe bei Investoren in aller Welt platzieren, scheint ausgeschlossen.

Was passiert nun?

Weitere Hilfen für Griechenland sind unausweichlich. Die EU-Finanzminister könnten Mitte Mai den Weg für ein SOS-Paket bereiten. Beim jüngsten Geheimtreffen in Luxemburg, an dem auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble teilnahm, wurde nach französischen Medienberichten über weitere Finanz-Hilfen von bis zu 25 Milliarden Euro verhandelt. Ein Aufschub der EU-Vorgaben zur Haushaltssanierung wird ebenso erwogen wie eine Laufzeitverlängerung für Anleihen in Höhe von 65 Milliarden Euro. Einige Länder dringen zudem darauf, dass der Euro-Rettungsfonds griechische Staatsanleihen zur Kursstützung kauft.

Reicht das?

Wohl kaum. Märkte und Experten rechnen trotz aller Dementis der Politik mit einer Umschuldung, bei der die Gläubiger auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten müssen. Experten wie US-Professor Barry Eichengreen gehen davon aus, dass mindestens 40 bis 50 Prozent der Verbindlichkeiten gestrichen werden müssen, damit das Land wieder auf die Füße kommt.

Welche Gefahren birgt dies?

Die weltweiten Verbindlichkeiten aller griechischen Schuldner betragen über 400 Milliarden Euro. Das sind mehr als doppelt so viele Außenstände, wie die US-Bank Lehman Brothers kurz vor dem Kollaps hatte. Die Gläubiger sind vor allem Kreditinstitute, denen milliardenschwere Verluste drohen. Daher könnte eine Umschuldung schlimmstenfalls eine neue Banken- und Finanzkrise auslösen.

Was hieße ein teilweiser Forderungsverzicht für Deutschland?

Eine Umschuldung käme Deutschland teuer zu stehen. Mehr als 50 Milliarden Euro hat Griechenland bereits aus dem Rettungspaket von Euro-Staaten und IWF erhalten. Ein beträchtlicher Teil davon wäre nach einer Umschuldung weg. Deutschland verlöre mehrere Milliarden Euro. Doch damit nicht genug. Auch die EZB hat für rund 70 Milliarden Euro Staatsanleihen verschuldeter Euro-Staaten aufgekauft — der größte Teil davon griechische. Der deutsche Anteil daran liegt bei rund 27 Prozent. Entsprechend besteht für weit über zehn Milliarden Euro wenig Hoffnung. Da griechische Kreditnehmer allein deutschen Finanzinstituten zuletzt rund 40 Milliarden Dollar schuldeten, müsste die Regierung bei einer Umschuldung wohl auch wieder Banken retten.

Sollte Athen besser aus dem Euro austreten?

Euro-Gruppen-Chef Jean-Claude Juncker hält das für "eine dumme Idee". Der Chef des Münchner Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, befürwortet einen solchen Schritt. Denn sonst sei ein noch radikaleres Sparprogramm nötig als bisher, das Griechenland an den Rand des Bürgerkriegs treibe. Sinns Kalkül: Führt Athen die Drachme wieder ein, kann es abwerten, billiger exportieren und wettbewerbsfähiger werden.

Was spricht dagegen?

Die Auslandsschulden bleiben in Euro notiert und könnten bei einer schwachen Drachme noch schwerer zurückgezahlt werden. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble fürchtet deshalb verheerende Folgen durch einen Austritt. Seine Experten rechnen mit einer Abwertung der neuen griechischen Währung um bis zu 50 Prozent.

Und dann?

Die Milliarden-Verluste der Gläubiger könnten das Finanzsystem destabilisieren. Das Vertrauen in das Funktionieren des Euro wäre dahin, die Krise könnte sich auf Portugal und Irland, vielleicht sogar Spanien und Italien ausweiten — und letztlich zum Kollaps des Euro führen. Juncker warnte am Wochenende vor einer "Explosion der Eurozone".

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort