EZB senkt Leitzins auf Rekordtief Historisches Not-Paket gegen Mini-Inflation

Frankfurt · Neue Notkredite, extrem billiges Geld, Strafzinsen für Banken: Die EZB zieht im Kampf gegen Konjunkturflaute und Deflation alle Register. Ein Ende des Krisenkurses ist nicht in Sicht, zum Leidwesen der Sparer. Die Börse jubelt trotzdem - der Dax überspringt 10.000 Punkte.

Das sind die Instrumente der EZB
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Europas Währungshüter stemmen sich mit noch billigerem Geld und erneuten Notkrediten für Banken gegen Konjunkturschwäche und Preisverfall im Euroraum. Damit das extrem billige Notenbankgeld auch als Investitionsspritze bei Unternehmen und Verbrauchern ankommt, brummt die Europäische Zentralbank (EZB) Geschäftsbanken erstmal Strafzinsen auf, wenn sie Geld bei der Notenbank parken.

Trotz des einstimmig beschlossenen, historischen Maßnahmenpakets betonte EZB-Präsident Mario Draghi in Frankfurt: "Wir sind hiermit nicht am Ende, solange wir uns im Rahmen unseres Mandates bewegen." Weitere unkonventionelle Schritte seien in Vorbereitung. Ausdrücklich nannte Draghi den Kauf von Kreditpaketen (ABS) und breit angelegte Wertpapierkäufe ("Quantitative Easing"/QE).

Aus Deutschland hagelte es Kritik an der Verschärfung des Krisenkurses. "Statt der erhofften Impulse für die Wirtschaft in den Krisenländern werden durch die erneute Zinssenkung die Sparer in ganz Europa weiter verunsichert und Vermögenswerte zerstört", sagte Sparkassenpräsident Georg Fahrenschon. Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn kritisierte: "Das ist der verzweifelte Versuch, mit noch billigerem Geld und Strafzinsen auf Einlagen die Kapitalströme nach Südeuropa umzuleiten und so dort die Wirtschaft anzukurbeln."

Das ist Mario Draghi
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Strafzins für Banken

Nach monatelangem Zögern machten die Währungshüter ernst im Kampf gegen den seit Monaten gefährlich niedrigen Preisauftrieb im Euroraum. Der Leitzins senkte die EZB wie erwartet von 0,25 Prozent auf das Rekordtief von 0,15 Prozent. Den Zins für Bankeinlagen, der seit dem Höhepunkt der Staatsschuldenkrise im Juli 2012 bei 0,0 Prozent lag, nahm die Notenbank auf minus 0,10 Prozent zurück.

"Wir reagieren damit auf das Risiko eines zu langen Zeitraums niedriger Inflationsraten", erklärte Draghi. Beim Leitzins sei nun "der untere Rand erreicht". Niedrige Zinsen verbilligen tendenziell Kredite und Investitionen und kurbeln so die Wirtschaft an. Das stärkt in der Regel den Preisauftrieb.

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Im Mai war die Teuerungsrate im Euroraum auf 0,5 Prozent gesackt und ist damit meilenweit entfernt vom EZB-Ziel stabiler Preise bei einer Inflation von knapp unter 2,0 Prozent. Das nährt Sorgen vor einer Deflation, also einem Preisverfall auf breiter Front. Draghi betonte jedoch, er sehe derzeit keine Deflationsgefahr im Euroraum.

Mit dem Strafzins sollen Banken dazu gebracht werden, mehr Kredite an Unternehmen und Verbraucher zu geben und so die Konjunktur anzuschieben. Zugleich soll der negative Einlagenzins die Inflation antreiben: Indem er den Euro schwächt und so Importe verteuert.

400 Milliarden für die Banken

Zusätzlich bietet die EZB den Geschäftsbanken neue Milliardenspritzen an, um die Kreditvergabe vor allem in den südlichen Euroländern anzukurbeln. Die Notenbank verleiht erstmals billiges Geld für die extrem lange Laufzeit von vier Jahren bis 2018. Anders als bei früheren Programmen dieser Art ist die Vergabe an die Bedingung geknüpft, dass Banken das Geld zumindest teilweise an Unternehmen und Privatkunden weiterreichen.

"Wir werden überprüfen, wohin das Geld fließt", betonte Draghi. So solle unter anderem vermieden werden, dass die Geschäftsbanken das billige Zentralbankgeld in höher verzinste Staatsanleihen stecken, statt in Kredite an Unternehmen und Verbraucher. Das neue Programm soll zunächst einen Umfang von 400 Milliarden Euro haben.

Ob diese gezielten langfristigen Refinanzierungsgeschäfte (TLTRO) ihren Zweck erfüllen, wird bezweifelt. "Nicht nur die Kreditvergabe sondern auch die Kreditnachfrage ist schwach", sagte VP-Bank-Chefökonom Thomas Gitzel. Nach Einschätzung von Michael Kemmer, Hauptgeschäftsführer des Bankenverbandes BdB, sind es "eher überschuldete Unternehmen und hohe Kreditrisiken, die in den Peripherieländern eine Ausweitung der Kreditvergabe verhindern".

Trotz aller Bemühungen wird die Inflation im Euroraum nach EZB-Einschätzung noch langsamer zulegen als bisher angenommen. Die EZB senkte am Donnerstag ihre Prognose für die Jahresteuerung 2014 abermals auf nun 0,7 Prozent (März-Prognose: 1,0 Prozent). 2015 werden die Verbraucherpreise um 1,1 Prozent zulegen (1,3 Prozent).

Die Notenbank sieht ihren Krisenkurs zudem durch die langsame konjunkturelle Erholung im Euroraum bestätigt: Im laufenden Jahr erwartet die EZB nur noch 1,0 Prozent Wachstum (März-Prognose: 1,2 Prozent). 2015 dürfte die Wirtschaft aber mit 1,6 Prozent etwas stärker anziehen als bislang erwartet (1,5 Prozent). "Die Erholung ist fragil und nicht überall gleich, aber sie ist da", sagte Draghi.

Auch wenn der Leitzins - also der Zins, zu dem sich Geschäftsbanken bei der Notenbank Geld ausleihen können - nicht direkt auf die Anlagezinsen durchschlägt: Für Sparer dürfte es schwieriger werden, Geld ohne realen Verlust anzulegen. Draghi versicherte, die EZB nehme diese Sorgen ernst, er betonte jedoch: "Die Zinssätze, die wir festlegen, gelten für Banken, nicht für die Menschen." Es liege an den Banken, wie sie auf die erneute Zinssenkung reagierten.

Draghi: "Wollen Sparer nicht enteignen"

Draghi betonte: "Die Behauptung, wir wollten Sparer enteignen, ist völlig falsch." Die EZB wolle genau das Gegenteil erreichen, nämlich das Wirtschaftswachstum zu unterstützen. Dann werde auch das Zinsniveau wieder anziehen - das kann allerdings noch etwas dauern: Nach Einschätzung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW/Köln) ist "eine vorsichtige Zinswende im zweiten Halbjahr 2015 möglich".

Vor der Zinsentscheidung hatte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) in Berlin gesagt: "Auf Dauer ist dieses Zinsniveau keine Lösung." Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte beim G7-Gipfel in Brüssel: Die EZB entscheide unabhängig: "Wir nehmen das zur Kenntnis und gehen dann mit der Situation um."

Mit Blick auf die EZB-Entscheidung forderte das Bundesverbraucherministerium die Banken auf, auch die Dispozinsen für ihre Kunden zu reduzieren. "Die Entscheidung der EZB zeigt, dass sich Banken noch lange Zeit sehr billig Geld leihen können", sagte Staatssekretär Gerd Billen der Deutschen Presse-Agentur. "Wenn Banken gleichzeitig für die Inanspruchnahme von Dispo-Krediten völlig überzogene Zinsen nehmen, ist das aus Sicht der Verbraucher unverständlich."

(dpa)
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