Neue EU-Richtlinie Kaum Immobilien-Kredite mehr für Ältere
Düsseldorf · Wer über 60 ist oder eine Familie gründen will, hat kaum Chancen auf Kredite. Denn Deutschland hat eine Richtlinie der EU so restriktiv umgesetzt, dass Banken kaum Spielraum haben.
Wer über 60 Jahre ist und einen Kredit zum Kauf oder altersgerechten Umbau eines Hauses möchte, hat schlechte Karten. Gleiches gilt für junge Paare. Sie trifft die neue Wohnimmobilienkredit-Richtlinie der Europäischen Union, genauer: die Art, wie Deutschland sie umgesetzt hat. "Menschen, die über 60 sind, erhalten aufgrund der Neuregelung von Banken keinen Kredit mehr", erklärt der Immobilienverband IVD. Ebenso würden junge Paare mit Kinderwunsch benachteiligt — Banken würden fürchten, dass ein Partner bald nicht mehr arbeiten und der andere den Kredit allein nicht bedienen könne. Auch Ausländer seien betroffen.
"Die Richtlinie soll Privatleute vor Überschuldung schützen. Dies ist im Grundsatz zu begrüßen. Doch wie die ersten Praxiserfahrungen zeigen, wurde offenbar bei der Umsetzung ins deutsche Recht zum Teil über das Ziel hinausgeschossen", sagte Michael Breuer, Chef des Rheinischen Sparkassen- und Giroverbands (RSGV), unserer Redaktion. "Dies engt in der Praxis die Kreditvergabe stärker ein, als dies in anderen europäischen Ländern möglich ist. Im Ergebnis sind insbesondere solche Kunden, die zwar Immobilienvermögen besitzen, aber über geringere laufende Einnahmen verfügen, benachteiligt."
Britische Bank HSBC sieht das Ende des Immobilienbooms
Die britische Bank HSBC sieht bereits das Ende des deutschen Immobilienbooms gekommen. Darauf deuten auch erste Zahlen hin: "Bundesweit wurden bei allen deutschen Sparkassen im ersten Halbjahr 2016 rund 8,9 Prozent weniger Wohnungsbaukredite zugesagt als im Vorjahr", erklärte der RSGV.
Hintergrund: Nach dem seit März geltenden Gesetz zur Umsetzung der EU-Richtlinie dürfen Banken und Sparkassen Immobilien-Kredite nur noch an Kunden vergeben, deren laufende Einnahmen ausreichend sind und die zu ihren Lebzeiten das Darlehen auch zurückzahlen können. Anders als bisher dürfen die Institute aber nicht mehr berücksichtigen, dass die Immobilie selbst eine Sicherheit darstellt und auch an Wert gewinnen kann. Kredit und Haus zu vererben, ist demnach nicht mehr möglich.
Dabei enthält die EU-Richtlinie eigentlich eine Öffnungsklausel: Die erlaubt es Banken und Sparkassen, auch den Wert der Immobilien zu berücksichtigen, wenn der Kredit zum Bau oder zur Renovierung eines Hauses (und nicht zur Finanzierung einer Immobilie als Geldanlage) verwendet wird. Doch diese Öffnungsklausel haben die Deutschen schlicht nicht übernommen.
Beim Bankenverband Nordrhein-Westfalen, in dem Deutsche Bank und andere Privatbanken organisiert sind, beobachtet man die Lage aufmerksam. "Derzeit ist es noch zu früh, die Auswirkungen der neuen gesetzlichen Vorschriften in der Praxis zuverlässig beurteilen zu können. Klar ist aber: Sie haben gewisse Veränderungen mit sich gebracht", sagte Bankenverbands-Chef Steffen Pörner. Die Aussage, junge Familien oder ältere Immobilienbesitzer könnten grundsätzlich von der Kreditvergabe ausgeschlossen werden, lasse sich "bisher" nicht belegen. Allerdings sind diese auch keine typischen Banken-Kunden.
Die Sparkassen fordern nun eine grundlegende Reform. "Wir plädieren dafür, das Umsetzungsgesetz zu korrigieren und die in der EU-Richtlinie aufgezeigten Möglichkeiten auch auszunutzen", sagt Breuer. "Die deutschen Banken und Sparkassen haben schon in der Vergangenheit bewiesen, dass sie bei der Immobilienkreditvergabe an private Kunden verantwortungsbewusst vorgehen." Das belegten historisch niedrige Abschreibungen für Kreditausfälle. Wie die Privatbanken fordern die Sparkassen zudem Konkretisierungen der vielen vagen Formulierungen.
Weiteres Problem: Geldhäuser müssen die neuen Regeln auch bei Anschlussfinanzierungen beachten. Das kann bei Kunden, die etwa wegen Scheidung oder Arbeitslosigkeit Zahlungsprobleme bekommen, das Kredit-Aus bedeuten. Bisher konnte Banken ihnen oft durch Anpassung der Konditionen (etwa Senkung der Tilgungsrate) helfen. Selbst wenn der Kredit bislang ordentlich bedient wurde, könne die Bank nun womöglich keinen neuen gewähren, warnt der Bundesverband der Verbraucherzentralen.