Musterschüler Deutschland EU-Kommission prüft deutsche Exportstärke

Brüssel · Die EU-Kommission nimmt den bisherigen wirtschaftlichen Musterschüler Deutschland wegen seines anhaltend hohen Exportüberschusses ins Visier. EU-Kommissionschef José Manuel Barroso kündigte an, mögliche Folgen der deutschen Exportübermacht für Europas Wirtschaft eingehend zu prüfen. In Deutschland stößt dies auf heftige Kritik.

Musterschüler Deutschland: EU-Kommission prüft deutsche Exportstärke
Foto: dapd, Fabian Bimmer

Deutschland steht seit Jahren wegen seiner Überschüsse im Außenhandel in der Kritik. Zuletzt war der Unmut über Europas Wirtschaftslokomotive international immer lauter geworden. Befürchtet werden Ungleichgewichte und negative Auswirkungen für die europäische Wirtschaft.

"Eins ist klar: Wir kritisieren nicht Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit oder seine Exportleistung", sagte EU-Wirtschaftskommissar Olli Rehn. Im Gegenteil, fügte Barroso hinzu: "Wir hätten gerne mehrere Deutschlands in Europa." Es solle jedoch untersucht werden, ob Deutschland mehr tun könne, um die wirtschaftlichen Ungleichgewichte zwischen den EU-Ländern zu verringern.

Vergangenes Jahr exportierte Deutschland nach Angaben des Statistischen Bundesamtes Waren im Wert von knapp 1096 Milliarden Euro, führte aber nur Güter für 906 Milliarden Euro ein. Diese Bilanz zeugt einerseits von Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit - andererseits verstößt Deutschland gegen EU-Regeln.

Denn der Außenhandelsüberschuss eines Landes darf im Durchschnitt von drei Jahren nicht über sechs Prozent liegen. Deutschlands Exportplus übersteigt jedoch seit 2006 diesen Wert - und wird dies der EU-Kommission zufolge auch bis mindestens 2015 tun. Es ist das erste Mal, dass die EU-Kommission nun deswegen eine Prüfung gegen Deutschland einleitet.

Barroso und Rehn kündigten dies bei der Vorstellung eines Berichts an, mit dem die Kommission die Mitgliedstaaten vor möglichen wirtschaftlichen Ungleichgewichten warnt. Insgesamt sind 16 EU-Staaten von einer solchen Prüfung betroffen, darunter mit Frankreich auch die nach Deutschland zweitgrößte Volkswirtschaft der Eurozone. In Frankreich bemängelt die EU-Kommission einen Mangel an Wettbewerbsfähigkeit und die hohe Verschuldung.

Mindestlohn und Steuersenkungen als Gegenmittel

Die EU-Kommission erklärte, dass die Prüfung auch im Interesse Deutschlands sei. Schließlich bedeute der Überschuss, dass deutsches Geld nicht im Inland, sondern im Ausland investiert werde. "Die Frage ist, ob das effizient ist, auch aus deutscher Sicht", sagte Rehn. Als Gegenmittel schlägt er die Stärkung der Binnennachfrage durch Lohnerhöhungen oder einen Mindestlohn vor sowie eine Senkung der Steuern und Abgaben, insbesondere für Geringverdiener. Zudem könne Deutschland den Wettbewerb im Dienstleistungssektor beleben, unter anderem im Baugewerbe.

Eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums sagte, die Bundesregierung sehe der Prüfung "gelassen" entgegen. Die Entscheidung der EU-Kommission rief jedoch auch Kritik hervor: "Der Exportüberschuss ist kein Ergebnis politischer Markteingriffe, sondern das Ergebnis einer Wettbewerbsfähigkeit, die sich die deutschen Unternehmen Tag für Tag neu erarbeiten", sagte Matthias Wissmann, Chef des Verbandes der Automobilindustrie und Vizepräsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie.

Im Frühjahr will die EU-Kommission mitteilen, ob sie in dem deutschen Exportüberschuss ein übermäßiges wirtschaftliches Ungleichgewicht sieht. In letzter Konsequenz können diese Prüfungen zu Strafzahlungen in Höhe von 0,1 Prozent der Wirtschaftsleistung führen. Deutschland setzte vor zwei Jahren aber eine Erklärung der EU-Finanzminister durch, nach der Exportüberschüsse nicht bestraft werden sollen.

(AFP)
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