Griechenland sucht neuen Regierungschef Ein Banker gilt als Top-Favorit

Berlin (RPO). Unter extremem Zeitdruck sucht die griechische Politik einen Chef für die kommende Übergangsregierung. Noch heute soll sein Name genannt werden. Griechischen Medienberichten zufolge ist der ehemalige EZB-Vize Lucas Papademos erster Anwärter auf den Posten. Der Mann bringt fast alles mit, wonach Europa sich derzeit sehnt.

 Der ehemalige EZB-Vize Lucas Papademos wird in Griechenland als kommender Ministerpräsident gehandelt.

Der ehemalige EZB-Vize Lucas Papademos wird in Griechenland als kommender Ministerpräsident gehandelt.

Foto: dpa-Zentralbild, dpa

Der Entschluss fiel am Sonntagabend: Eine Übergangsregierung der nationalen Einheit soll Griechenland aus dem Schlimmsten herausführen. Hinter verschlossenen Türen rangen Politiker der regierenden sozialistischen Pasok von Premier Papandreou mit Vertretern der anderen Parteien um die Ausgestaltung einer Regierungsmannschaft, die die Umsetzung der Rosskur bewerkstelligen soll, ohne die keine weiteren Hilfsgelder nach Athen fließen werden.

Die Übergangsregierung werde binnen einer Woche vereidigt und eine Vertrauensabstimmung abhalten, wenn alles nach Plan verlaufe, sagte Regierungssprecher Ilias Mossialos. Die neue Koalition muss vom Parlament grünes Licht für das jüngste Hilfspaket Europas und den damit verbundenen strikten Sparauflagen erhalten, bevor sie Neuwahlen ansetzt.

Koalitionen eher ungewöhnlich

Ausgehandelt haben den Deal am Wochenende die Führer der beiden traditionell verfeindeten großen Parteien: Giorgos Papandreou, Chef der regierenden sozialistischen Pasok und Antonis Samaras, Chef der konservativen Nea Democratia. Nach mehreren Jahrzehnten der wechselnden Einparteien-Herrschaft steht das Land vor einem Neubeginn mit einer Art Großen Koalition. Im Februar, so sehen derzeit die Planungen vor, soll es frühestens Neuwahlen geben.

Der Preis für den Neustart in der Krise: Papandreou dankt ab. Gegner und Oppositionschef Samaras hatte seinen Kopf gefordert - und bekommen. Wer nun die neue Krisen-Regierung anführen und dem Land den Weg aus der Misere weisen soll, ist noch nicht beantwortet, soll aber an diesem Montag entschieden werden.

Samaras geschickter Schachzug

Als starker Mann war schon seit Wochen immer wieder Finanzminister Evangelos Venizelos im Gespräch. Bei den Verhandlungen am Wochenende zog er die Fäden, in der Pasok gilt er als Gegenspieler Papandreous. Er sollte nach Vorstellung der Sozialisten offenbar auch Chef der neuen Regierungskoalition werden. Bei den Konservativen löste das aber heftiges Rumoren aus. Es sei unwahrscheinlich, dass man ein ranghohes Pasok-Mitglied wie Venizelos als Leiter der Übergangsregierung akzeptieren werde, ließen Vertraute von Parteichef Samaras durchsickern.

Der hingegen sprach sich immer wieder für ein Kabinett von Fachleuten aus - und nahm sich damit gleich selbst als möglichen Kandidaten aus dem Rennen. Kenner des Landes werteten das als geschickten machtpolitischen Schachzug. Samaras könnte so nämlich als Spitzenkandidat in die kommenden Wahlen gehen, ohne mit dem Blut-Schweiß-und-Tränen-Programm der Übergangsregierung in Verbindung gebracht zu werden. Den Sparmaßnahmen der Regierung Papandreou hat Samaras sich über Monate verweigert und damit in europäischen Hauptstädten für Fassungslosigkeit gesorgt.

Papademos ist ein Fachmann

Als Top-Favorit auf Papandreous Nachfolge gilt griechischen Zeitungen zufolge einer, auf den auch Samaras' Anforderungsprofil passen würde: Lucas Papademos ist auf dem Gebiet der Finanzmärkte ein erwiesener Fachmann. Den griechischen Zeitungen zufolge ist längst entschieden, dass er Papandreou beerben wird. Schon am Dienstag werde er das Amt übernehmen, berichtete die Tageszeitung "Ta Nea" in ihrer Montagausgabe ohne Angabe von Quellen. Auch der Tageszeitung "Ethnos" zufolge deuten "alle Quellen" auf Papademos hin.

Nach dem, was bis jetzt über ihn zu hören ist, wäre Papademos für nahezu alle Akteure in der Griechenland-Krise ein Gewinn. Denn er ist im Hinblick auf Finanzen ein erwiesener Experte. Von 1994 bis 2002 gelang es ihm als Chef der griechischen Zentralbank die Inflation in den Griff zu bekommen. Einer seiner größten Erfolge: Griechenlands Beitritt zur Eurozone. Inwieweit auch er von den geschönten Zahlen und Statistiken wusste, bleibt allerdings eine offene Frage.

"Extrem angenehm"

2002 wurde Papademos Mitglied im Direktorium der Europäischen Zentralbank (EZB), aus dem er Ende 2010 turnusgemäß ausschied. Dort erwarb er sich einen tadellosen Ruf. "Extrem klug", "extrem angenehm", "extrem respektvoll", so zitiert das Handelsblatt am Montag Weggefährten Papademos' in ihrem Urteil über den Griechen.

Vor allem aus Sicht der Europäer wäre die Wahl Papademos eine Wohltat. Er könnte wie kaum ein anderer das symbolisieren, was von den Griechen derzeit erwartet wird: Verlässlichkeit, Berechenbarkeit, Integrität. Aus dem verrufenen Polit-Geschacher Griechenlands hat sich Papademos stets herausgehalten. Zuletzt beriet er Papandreou. Dem Ruf ins Amt des Finanzministers wollte er aber nicht folgen.

Der 64-Jährige arbeitete in Frankfurt in der EZB-Zentrale an der Seite der ehemaligen Präsidenten Wim Duisenberg und Jean-Claude Trichet. Der 64-Jährige gilt als belastbar, integer, stressresistent. Im Brüsseler Dickicht der Europäischen Union soll er sich zudem bestens auskennen. Bei ihm wüssten die Europäer, was sie an ihm haben. Geldpolitisch wurde er während der Zeit bei der EZB als gemäßigt und pragmatisch eingeschätzt.

(dapd/RTR/RP)
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