Kommentar Deutschland steht in der Euro-Zone allein auf weiter Flur

Berlin · Wow. Die deutsche Wirtschaft wuchs im ersten Quartal des Jahres mit 0,8 Prozent und damit so kräftig wie in keinem Quartal seit drei Jahren. Damit hat kaum jemand gerechnet, auch nicht die Optimisten unter den Volkswirten. Wie kommt das?

Der milde Winter hat die Bautätigkeit kaum erlahmen lassen, die Beschäftigung verharrte auf hohem Niveau — und die privaten Konsumenten blieben vor allem deshalb in guter Kauflaune. Wenn es so weiter ginge, würde Deutschland im laufenden Jahr nicht nur um zwei, sondern tatsächlich um drei Prozent zulegen können.

Es wird aber nicht so gut weitergehen, das signalisieren die Stimmungsindikatoren für die Konjunktur bereits seit mehreren Monaten. Vor allem die ungelöste Ukraine-Krise drückt zunehmend auf die Stimmung von Investoren und Konsumenten. Viele Deutsche bangen um den Frieden an Europas Ostgrenzen. Allein das reicht, um die Hochstimmung unter den Konsumenten zu trüben, die noch zu Weihnachten herrschte.

Zudem rücken jetzt auch weitere Risiken für die Konjunktur stärker ins Blickfeld: Der anhaltend starke Euro dämpft die europäischen Exporte. Für deutsche Exporteure, deren Produkte weltweit auch bei steigenden Preisen noch gefragt sind, mag das noch kein großes Problem sein. Doch die fragilen südeuropäischen Länder dagegen leiden unmittelbar, wenn ihre preisliche Wettbewerbsfähigkeit gegen die Konkurrenz aus Asien und den USA nachlässt. Kommen die Südeuropäer nicht auf die Beine, stellt sich schnell wieder die Frage, ob die europäische Finanzkrise wirklich hinter uns liegt.

Vor allem das Euro-Schwergewicht Frankreich bereitet den Europäern zunehmend Sorgen. Die französische Wirtschaft stagnierte im ersten Quartal und zog damit das Wachstum in der Euro-Zone insgesamt nach unten - trotz der hervorragenden Performance der deutschen Nachbarn. Strukturelle Reformen der Regierung, die zehn Jahre zu spät kommen, werden erst in einigen Jahren wirken. Das zeigen Erfahrungen in Deutschland, wo Schröders Reformagenda auch erst Jahre nach dem Reformstart 2005 ihre segensreichen Wirkungen entfaltet hat. In diesem Jahr deutet wenig darauf hin, dass die französische Konjunktur die Wende zum nachhaltig Besseren schafft.

Auch in Italien tut sich wenig, das italienische Wachstum ging im ersten Quartal sogar zurück. Reformen des Arbeitsmarkts und der Sozialsysteme blieben auch in Italien zu lange aus. Da nützt es wenig, wenn der frühere italienische Regierungschef Berlusconi im Europawahlkampf die Deutschen für die Malaise verantwortlich macht.

Hinzu kommen Risiken, die sich mittelfristig aus der Geldschwemme der Europäischen Zentralbank und den zu niedrigen Leitzinsen ergeben können. Die Geldschwemme produziert Preisblasen. Je größer sie werden, desto größer ist der Schaden, wenn sie platzen. Der Höhenflug des deutschen Aktienindex kann durchaus auch als ein Vorzeichen einer solchen Preisblase gesehen werden. Trotzdem ist die EZB-Politik für die Euro-Zone insgesamt richtig: Eine echte Deflation in der Euro-Zone ließe sich von der Notenbank kaum mehr aufhalten.

Für Deutschland sind die weiteren Konjunktur-Aussichten gut, auch wegen der weiterhin günstigen Finanzierungsmöglichkeiten für Investoren. Alle gängigen Prognosen gehen von zwei Prozent Wachstum in diesem und im nächsten Jahr aus. Doch was kommt dann? Gerade hat die Industrieländer-Organisation OECD gewarnt: Deutschland darf sich auf seinen Lorbeeren nicht ausruhen.

Die Alterung der Deutschen schreitet gnadenlos voran. Unternehmen werden den Fachkräftemangel bald nicht nur spüren, sondern erheblich darunter leiden. Weniger qualifizierte Arbeitskräfte bedeuten auch weniger Wertschöpfung und damit weniger Wirtschaftswachstum. Deutschland muss sich noch besser darauf vorbereiten. Es braucht eine neue Demografie-Reformagenda, damit die Wirtschaft auch 2016, 2020 und 2030 zumindest in dem Umfang wächst, dass der Wohlstand der schrumpfenden älteren Bevölkerung gesichert werden kann. Es wird darum gehen müssen, alle stillen Reserven am Arbeitsmarkt zu mobilisieren, die Infrastruktur altengerecht umzubauen, zu erhalten und zu modernisieren, die Sozialsysteme zu stabilisieren - ohne die durchschnittliche Steuern- und Abgabenlast drastisch zu erhöhen.

(mar)
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