Brexit-Analyse Himmelfahrtskommando für die Wirtschaft

Meinung | Berlin · Das britische Volk will der EU tatsächlich den Rücken kehren. Dieses Votum wird die Wirtschaft vor massive Probleme stellen - in Großbritannien, aber auch in Deutschland und in ganz Europa. Es wird teuer, für alle.

 Das britische Pfund verliert stark nach der Brexit-Entscheidung.

Das britische Pfund verliert stark nach der Brexit-Entscheidung.

Foto: dpa, el asu jak

Denn nun beginnt eine zweijährige Phase der Unsicherheit, in der die EU mit der britischen Regierung über den EU-Austrittsvertrag verhandeln muss. In dieser Zeit wird in Großbritannien nur noch wenig investiert werden. Durch starke Verluste an den Börsen dürfte sich die Investitionszurückhaltung der Unternehmen im Vereinigten Königreich weiter verstärken.

Die Finanzindustrie, die auf der Insel zehn Prozent zum Bruttoinlandsprodukt beisteuert, wird reagieren und London teilweise verlassen. Importprodukte auf der Insel werden sich durch eine drastische Abwertung des Pfundes verteuern, manche gehen von Preissprüngen von mehr als 20 Prozent nach oben aus. Die Bank of England wird darauf mit Zinserhöhungen reagieren, was wiederum erneut die Investitionen lähmen dürfte.

Die Briten werden Handelsverträge mit der EU und dem Rest der Welt komplett neu aushandeln müssen. Der Handel mit Großbritannien wird nicht nur deshalb stark zurückgehen. Die Nachfrage in UK wird spürbar abnehmen, weil die Importpreise steigen. Das trifft dann vor allem die deutsche Wirtschaft, für die Großbritannien der drittgrößte Absatzmarkt in der EU ist.

Auch wirtschaftspolitisch gesehen bringt der Brexit der EU nichts Gutes. Die Briten haben Deutschland im Abwehrkampf gegen Zentralisten und Umverteiler in der EU stets unterstützt. Ihre liberale Stimme in der EU geht nun verloren. Deutschland steht künftig weitgehend allein gegen Frankreich, Spanien, Italien und andere Südosteuropäer, die aus Deutschland Transferzahlungen erhalten, gleichzeitig aber in einer EU-Wirtschaftsregierung den Kurs der Politik lenken wollen. Eine solche Entwicklung würde auch in Deutschland den EU-kritischen Kräften weiter Auftrieb geben.

Was nun also? Europa darf nicht nachgeben, wenn eine neue britische Regierung in den kommenden zwei Jahren versucht, durch Nachverhandlungen mit der EU neue Argumente zu sammeln, um zuhause doch noch für den EU-Verbleib werben zu können. "In is in, out ist out", sagte Finanzminister Schäuble und das muss auch gelten. Andernfalls wäre es für viele andere EU-Länder attraktiv, jetzt ebenfalls mit dem Austritt zu drohen.

Die Europäische Rest-Union hat nun die dringende Aufgabe, entschiedener gegen ihre inneren Zentrifugalkräfte anzugehen. Dazu gehört zuallererst eine massive Ausweitung der proeuropäischen Öffentlichkeitsarbeit: Die Menschen müssen verstehen, was die Vorteile der EU für sie persönlich wirklich sind und dass diese die Nachteile deutlich überwiegen.

Zudem muss das Prinzip der Subsidiarität mit viel mehr Leben erfüllt werden. Nationalstaaten und Regionen müssen selbst noch mehr über ihre eigene Daseinsvorsorge bestimmen können. Noch mehr Bürokratie aus Brüssel ist nicht mehr gefragt. Die EU-Institutionen sollten sich auf das konzentrieren, was die Menschen wirklich angeht: die gemeinsame innere und äußere Sicherheit, die Absicherung des Euros, der weltweite Klimaschutz, der weltweite Handel und eine gemeinsame, vernünftige Strategie im Umgang mit der Massenmigration.

(mar)
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