Neuen Masche mit Ökostrom-Zertifikaten Betrüger prellen Europas Steuerzahler jährlich um 50 Milliarden Euro

Berlin · Nach den Cum-Ex- und Cum-Cum-Betrügereien haben Gauner einen neuen Weg gefunden, Staaten um Milliarden zu bringen. Durch Umsatzsteuerbetrug mithilfe von Ökostromzertifikaten entsteht einem Bericht zufolge jährlich ein Schaden in Höhe von 50 Milliarden Euro.

Betrug mit Ökostrom-Zertifikaten: Steuerzahler jährlich um 50 Milliarden Euro geprellt
Foto: dpa/Julian Stratenschulte

Das fand ein Recherchenetzwerk von Medien aus 30 europäischen Ländern unter Koordinierung des Recherchezentrums Correctiv heraus, das am Dienstag seine Ergebnisse veröffentlichte. Demnach warnen die europäischen Finanzbehörden vor allem vor einer neuen Betrugsmasche mit Ökostrom-Zertifikaten.

Allein in Deutschland entstehe durch die sogenannten Umsatzsteuerkarusselle jährlich ein Schaden von fünf bis 14 Milliarden Euro, hieß es. Genaue Zahlen habe das Finanzministerium nicht: Weder beim Bund noch bei den Ländern würden statistische Aufzeichnungen dazu geführt, heißt es den Recherchen zufolge im Ressort von Finanzminister Olaf Scholz (SPD). An der Auswertung der zugespielten Daten beteiligten sich aus Deutschland das ZDF und das "Handelsblatt".

Bei dem Betrugssystem wird Ware grenzüberschreitend im Kreis bewegt, oftmals sogar nur auf dem Papier. Betrüger lassen sich dabei Umsatzsteuern vom Finanzamt ausbezahlen, obwohl diese für die jeweiligen Produkte nie bezahlt wurden. Möglich ist das Ganze seit der Einführung des europäischen Mehrwertsteuersystems 1993.

Seitdem gelang es nicht, das bekannte Problem zu lösen: Die EU-Staaten würden sich "rigoros dagegen wehren, auch nur ein Quäntchen ihrer Steuerhoheit abzugeben", zitierte das Recherchenetzwerk Pierre Moscovici, EU-Kommissar für Wirtschaft, Finanzen, Steuern und Zoll. Nur wenn die Nationalstaaten mehr kooperierten, könne Umsatzsteuerbetrügern das Handwerk gelegt werden. Den Betrug bezeichnete Moscovici als "moralisch und ethisch inakzeptabel".

Bislang handelten die Betrüger vor allem mit leicht transportierbaren und umsatzstarken Produkten, etwa Handys, Konsolen und CO2-Zertifikaten. Den Recherchen zufolge drängen die Betrüger mittlerweile auf den Markt mit erneuerbaren Energien und nutzen für ihre Umsatzsteuerkarusselle auch Ökostrom-Zertifikate. Dabei sind dann vor allem Länder mit hohem Anteil an Erneuerbaren betroffen - also etwa Deutschland und die skandinavischen Länder.

Deutschland ist indes eines der sehr wenigen Länder, die nicht am sogenannten TNA-Verfahren teilnehmen, einem Betrugs-Frühwarnsystem, das mit künstlicher Intelligenz grenzüberschreitenden Betrug schneller entdecken kann. Laut Finanzministerium wird derzeit gemeinsam mit den Ländern eine Teilnahme am TNA-Verfahren geprüft.

Hessens Finanzminister Thomas Schäfer (CDU) forderte ein stärkeres Engagement vom Bund. Deutschland müsse "raus aus der Beobachterrolle und Vorreiter sein". Dazu gehöre auch, das TNA-System einzusetzen.

Die Grünen bezeichneten es vor dem Hintergrund der Recherche-Ergebnisse als "fahrlässig", dass Deutschland nicht am TNA-Verfahren teilnimmt. Um den Trickbetrug komplett zu unterbinden, müsse zudem europaweit die "Umkehr der Steuerschuldnerschaft beschlossen" werden, forderte der Grünen-Finanzexperte Danyal Bayaz.

(felt/AFP)
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