Jens Weidmann hört auf Was der Rückzug des Bundesbankchefs zu bedeuten hat

Berlin · Zum Jahresende will Bundesbankpräsident Jens Weidmann überraschend aus dem Amt scheiden. Er habe Bundespräsident Steinmeier um seine Entlasstung gebeten. Vor allem Union und FDP äußern ihr Bedauern. Über die Hintergründe des Rücktritts.

Jens Weidmann, Präsident der Bundesbank, nimmt an der Sitzung des Bundeskabinetts im Bundeskanzleramt teil. (Archivfoto)

Jens Weidmann, Präsident der Bundesbank, nimmt an der Sitzung des Bundeskabinetts im Bundeskanzleramt teil. (Archivfoto)

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Es war ein Ritual, das sich im Frühjahr und im Herbst wiederholte – bis die Corona-Krise eine vorübergehende Pause verlangte. In jedem Frühjahr und in jedem Herbst seit seiner Nominierung zum Bundesbankpräsidenten Mitte 2011 saß Jens Weidmann früh morgens in einem Washingtoner Hotel neben dem Bundesfinanzminister, um den mitgereisten Journalisten bei der Tagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) Rede und Antwort zu stehen.

Weidmann war stets gut gelaunt, bestens informiert, präzise, immer auch bereit zu scherzen. Erst an der Seite von Wolfgang Schäuble (CDU), später an der von Olaf Scholz (SPD). Unabhängig von parteipolitischen Unterschieden war Weidmann stets eine ideale Ergänzung auf dem Washingtoner Parkett: Ohne ihn wäre die Analyse der weltwirtschaftlichen Lage und die Einordnung der deutschen Politik weniger professionell ausgefallen. Im Gegensatz vor allem zu Schäuble, aber auch zu Scholz spricht Weidmann Englisch so gut wie seine Muttersprache.

Über die Hintergründe seines überraschenden Rücktritts gibt es nur Mutmaßungen. Der 53-Jährige nennt persönliche Gründe. Weidmann sei es einfach leid gewesen, gegen die herrschende Meinung in der Europäischen Zentralbank (EZB) weiter anzukämpfen, hieß es in Frankfurter Bankenkreisen. Die EZB hatte ihre Ankaufprogramme für europäische Staatsanleihen auch nach dem Höhepunkt der Schuldenkrise ausgeweitet, heute stehen ein Drittel aller Staatsschulden in ihren Büchern. Weidmann hatte als einer der wenigen Notenbankchefs im EZB-Rat immer wieder gegen die ultralockere Geldpolitik Stellung bezogen und vor hohen Inflationsraten gewarnt. Vergeblich, denn die EZB lenkte nicht etwa ein, sondern erhöhte vielmehr ihr Inflationsziel für die Zukunft.

Weidmann muss sich wie ein einsamer Rufer vorgekommen sein, womöglich zieht er sich deshalb nun zurück. Auch in der deutschen Finanzpolitik dürften die Weichen bald anders gestellt werden, als es sich Weidmann wohl gewünscht hätte: Die mögliche Ampel-Koalition will die Schulden und die staatlichen Investitionen kräftig erhöhen – ein Szenario, das die Inflation in Deutschland weiter anheizen könnte. Weidmann möchte womöglich nicht mehr der Bundesbankchef sein, der für Inflationsraten deutlich über zwei Prozent verantwortlich gemacht wird.

Eigentlich wäre Weidmanns Mandat noch bis 2027 gelaufen, doch nun bat er Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier um seine Entlassung zum 31. Dezember dieses Jahres, wie die Bundesbank mitteilte. Weidmann verabschiedet sich mit warnenden Worten von seinen Mitarbeitern:  „Ich bin zur Überzeugung gelangt, dass mehr als zehn Jahre ein gutes Zeitmaß sind, um ein neues Kapitel aufzuschlagen - für die Bundesbank, aber auch für mich persönlich“, schrieb Weidmann in einem Brief an die Beschäftigten. Er blicke auf eine „ereignisreiche“ Zeit zurück, das Umfeld der Bundesbank habe sich „massiv verändert“ und die Aufgaben der Bank seien gewachsen, fuhr Weidmann mit Blick auf die Finanz- und Schuldenkrise und zuletzt die Pandemie fort.

Weidmann sitzt als einer der Zentralbanker der 19 Euroländer auch im Rat der Europäischen Zentralbank (EZB). Sein Rückzug kommt nun zu einer Zeit, in der es auch um die Zukunft der EZB und die Ausrichtung ihrer Geldpolitik geht. Der EZB kommt die Rolle zu, die derzeit steigende Inflation in den Griff zu bekommen und zu entscheiden, wann sie ihr in der Pandemie aufgelegtes Notfallankaufprogramm zurückfährt.

Und zum Abschied formulierte er noch einmal jene Warnungen, die er schon in den vergangenen Monaten ausgeprochen hatte: Im andauernden Krisenmodus sei „das Koordinatensystem der Geldpolitik verschoben“ worden, schrieb Weidmann nun an seine Mitarbeiter. Eine stabilitätsorientierte Geldpolitik werde dauerhaft indes nur möglich sein, wenn diese „ihr enges Mandat“ achte und nicht „ins Schlepptau der Fiskalpolitik oder der Finanzmärkte“  gerate, warnte der scheidende Bundesbank-Chef. „Krisenmaßnahmen mit ihrer außergewöhnlichen Flexibilität sind nur in der Notsituation, für die sie geschaffen wurden, verhältnismäßig.“ 

Alarmiert über Weidmanns Rückzug zeigten sich vor allem FDP und Union. „Den Rücktritt von Jens Weidmann bedauern wir. Er stand für eine stabilitätsorientierte Geldpolitik, deren Bedeutung angesichts von Inflationsrisiken wächst. Mit ihm war die Deutsche Bundesbank eine wichtige Stimme in Europa. Die FDP empfiehlt Deutschland Kontinuität“, schrieb FDP-Chef Christian Lindner auf Twitter. Lindner wird als möglicher neuer Finanzminister gehandelt.

Als ein „fatales Signal für die künftige Geld- und Finanzpolitik in Deutschland und Europa“ bewertete der scheidende Finanzobmann der CDU/CSU-Fraktion, Hans Michelbach, den Rücktritt Weidmanns. „Dies ist besonders fatal vor dem Hintergrund der Gedankenspiele von Rot-Grün-Gelb zur Überdehnung der Schuldenbremse und anderen fragwürdigen Tricks zur Finanzierung ihres Wünsch-dir-was-Katalogs. Deutschland droht vom Vertreter einer soliden europäischen Geld- und Fiskalpolitik zur Triebfeder einer Verschuldungs- und Haftungsunion zu werden. Wiedmanns Rücktrittsankündigung ist ein eindringliches Warnsignal“, sagte Michelbach.

 Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nahm Weidmanns Entscheidung „mit Bedauern und mit großem Respekt zur Kenntnis“. Weidmann habe die Bundesbank in währungspolitisch herausfordernden Jahren "national wie international herausragend vertreten", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Die neue Regierung müsse nun eine Nachfolge finden, die das "stabilitätsorientierte Erbe der Bundesbank fortsetzt“.

(mar/Reuters/dpa)
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