Interview mit Barmer-Chef Christoph Straub Mehr Geld für Kranke in Städten, weniger Geld aufs Land

Düsseldorf · Barmer-Chef Straub fordert, den Finanzausgleich der Krankenkassen zu reformieren. Für Versicherte auf dem Land und für regionale Kassen soll es weniger Geld geben. Im Ermittlungsverfahren um betrügerisches Kodieren von Diagnosen weist Straub alle Vorwürfe zurück.

 Barmer-Chef Christoph Straub.

Barmer-Chef Christoph Straub.

Foto: Barmer GEK

Die größte Baustelle der Gesundheitspolitik ist 2019 die Reform des Finanzausgleichs zwischen den Krankenkassen. Was läuft schief?

Straub In der gesetzlichen Krankenversicherung laufen die Dinge auseinander: Weil es in den Städten mehr Ärzte, Therapeuten und Kliniken gibt, entstehen dort pro Kopf mehr Kosten als auf dem Land. Das Finanzierungssystem nimmt darauf jedoch nicht Rücksicht, sodass bundesweit agierende Kassen im Schnitt zu wenig und regional aufgestellte Kassen zu viel Geld aus dem Gesundheitsfonds erhalten. Es geht also zu viel Geld in die ländlichen Regionen, wo die Versorgungskosten grundsätzlich niedriger sind, und zu wenig in die Metropolen.

Wie passt das mit dem Ärztemangel auf dem Land zusammen?

Straub In manchen Städten haben wir eine Überversorgung, auf dem Land eine Unterversorgung mit Ärzten. Doch dieses Strukturproblem kann nicht der kasseninterne Finanzausgleich (RSA) beseitigen. Das Problem muss parallel angepackt werden, so wie es etwa NRW-Gesundheitsminister Laumann mit wichtigen Maßnahmen zur Sicherstellung der ärztlichen Versorgung auf dem Land versucht.

Wie muss eine Reform des kasseninternen Finanzausgleich aussehen?

Straub Unabhängige Wissenschaftler haben in zwei Gutachten eine Blaupause für die Reform gezeichnet. Zum einen müssen wir die regionale Fehlverteilung beseitigen. Der neue Finanzausgleich muss mehr Geld für Versicherte in den Metropolen bereitstellen. Dafür braucht es die Einführung einer Regionalkomponente zur Beseitigung der beschriebenen Wettbewerbsverzerrungen. Zum anderen müssen wir mehr als bisher 80 Krankheiten differenziert und hierarchisiert in den Katalog der besonders zu vergütenden Leistungen aufnehmen. Insgesamt werden nur so Kassen nicht bestraft, die besonders viele Kranke in Metropolen versichern.

Die Techniker Krankenkasse sieht das ganz anders. Sie fordert, Volkskrankheiten wie Adipositas aus dem Katalog herauszunehmen.

Straub Dahinter steckt offenbar die Idee, dass der Finanzausgleich keine Krankheiten berücksichtigen solle, die durch den Lebensstil der Patienten beeinflussbar seien. Das lässt sich medizinisch aber nicht sauber fassen: Herzinfarkt oder Lungenkrebs kann ebenso durch den Lebensstil entstanden sein wie Adipositas oder Diabetes 2.

Seit Adipositas in den Katalog der besonders gut bezahlten Diagnosen aufgenommen wurde, ist die Zahl der krankhaft Übergewichtigen drastisch angestiegen. Offenbar verführt der Katalog zu Missbrauch.

Straub Vor der angekündigten Reform des Finanzausgleichs kommt es richtigerweise nun endlich zur Einführung von Kodier-Richtlinien, damit Ärzte ihre Diagnosen einheitlich und vollständig kodieren.

Die Justiz ermittelt in dem Zusammenhang gegen die AOK Rheinland, die Techniker Krankenkasse und die Barmer. Hat die Barmer Ärzte angehalten, falsch zu kodieren, um mehr Geld aus dem System zu bekommen?

Straub Diesen Vorwurf weisen wir von uns. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir uns zu laufenden Verfahren nicht weiter äußern können.

Haben Barmer-Mitarbeiter betrogen?

Straub Wir haben auch nach Einsicht in die Akten der Behörden keinen Hinweis darauf, dass Barmer-Mitarbeiter sich unrechtmäßig verhalten haben.

Anderes Thema: Der Gesundheitsminister will die Kassen zwingen, ihre Rücklage auf das Einfache einer Monatsausgabe zu senken. Wie sieht es bei der Barmer aus?

Straub Unsere Rücklage liegt bei 1,3 Milliarden Euro und entspricht recht genau einer halben Monatsausgabe. Wir wären also gar nicht betroffen, halten die Idee von Minister Spahn aber für gut. Es kann nicht sein, dass die Vermögen der Kassen so stark auseinandergehen und manche Milliarden-Rücklagen aufbauen, um so ihre Beitragssätze Wettbewerb verzerrend zu subventionieren.

Vielleicht haben reiche Kassen besser gewirtschaftet? Wie hoch sind die Verwaltungsausgaben der Barmer?

Straub Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht und kräftig Kosten gesenkt. Zum Jahresende konnten wir den geplanten Abbau von 3500 Stellen vollständig abschließen. Nun kommen wir auf Verwaltungsausgaben von 147 Euro pro Versicherten. Im Schnitt aller Kassen sind es 150 Euro.

Reicht das oder wird weiterer Stellenabbau nötig?

Straub Die Barmer plant keinen weiteren Stellenabbau. Die Digitalisierung macht zwar bei uns wie überall in der Gesellschaft manche Tätigkeit ersetzbar. Zugleich müssen wir angesichts des Fachkräftemangels ausreichend qualifiziertes Personal vorhalten, denn viele Mitarbeiter gehen in den nächsten Jahren in den Ruhestand.

Viele Kassen senken 2019 ihren Zusatzbeitrag. Der Schnitt liegt nun bei 0,9 Prozent. Wie sieht es bei der Barmer aus?

Straub Wir halten 2019 unseren Zusatzbeitrag stabil bei 1,1 Prozent. Langfristig und bei einer sachgerechten Reform des Finanzausgleichs könnte auch eine Senkung möglich werden.

(Antje Höning führte das Gespräch.)
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