Interview mit dem Chef der NRW-Verbraucherzentrale 120.000 NRW-Bürgern wurde der Strom abgestellt

Düsseldorf · Der Chef der NRW-Verbraucherzentrale, Klaus Müller, über die steigende Zahl überschuldeter Stromkunden, die Fragwürdigkeit des von Eon geforderten Sozialtarifs und schärfere Auflagen für die Versorger.

Eon-Chef Johannes Teyssen hat einen Zuschuss für Hartz-IV-Empfänger gefordert, damit diese ihren Strom bezahlen können. Ein guter Vorschlag?

Müller Nein. Von einem solchen Sozialtarif, in dem der Staat hohe Stromkosten subventioniert, gehen falsche Anreize aus. Dies könnte Versorger animieren, ihre Strompreise noch stärker anzuheben. Zudem macht es ordnungspolitisch keinen Sinn, dass der Staat erst den Strompreis über die hohen Solar-Subventionen treibt und dann die Folgekosten subventioniert. Gleichwohl hat Teyssen auf ein brennendes Problem hingewiesen.

Wie viele Menschen können ihren Strom nicht mehr bezahlen?

Müller Bereits im Jahr 2010 haben die Versorger, nach ihren eigenen Angaben, 120 000 Haushalten in NRW den Strom abgedreht, weil diese ihre Stromrechnung anhaltend nicht bezahlt haben. Das hat eine Umfrage der Verbraucherzentrale NRW unter den 110 nordrhein-westfälischen Grundversorgern ergeben. Hochgerechnet heißt das, dass bundesweit 600 000 Stromsperren verhängt wurden. Das Problem nimmt zu, da Rohstoffkosten, die Subventionen für die energieintensive Industrie und der Netzausbau die Strompreise weiter steigen lassen werden.

Wer ist besonders betroffen?

Müller Vor allem Geringverdiener, Studierende und Rentner leiden unter den hohen Strompreisen und sind entsprechend oft von Stromsperren betroffen. Während die Renten in den vergangenen Jahren nur gering erhöht wurden, fallen jährliche Strompreiserhöhungen zwischen fünf und zehn Prozent im Budget stark ins Gewicht. Bei Hartz-IV-Beziehern sind Energieschulden ohnehin ein strukturelles Problem. Von den 374 Euro, die ein Hartz-IV-Empfänger (neben der Mietübernahme) monatlich bekommt, sind rund 30 Euro für Strom angesetzt. Wenn die Warmwasseraufbereitung über Strom erfolgt, führt das schon jetzt zu einer Unterdeckung bis zu 55 Prozent.

Dürfen Versorger sofort den Strom abstellen, wenn ein Kunde nicht zahlt?

Müller Versorger dürfen die Stromlieferung kappen, wenn der Kunde seine Abschläge oder die Endabrechnung nicht fristgerecht bezahlt und diese Rückstände auch auf eine Mahnung hin immer noch nicht beglichen hat. Der Rückstand muss mindestens 100 Euro betragen. Stromsperren können für ältere Menschen, Familien mit kleinen Kindern oder Kranke wie Dialyse-Patienten (lebens-)bedrohliche Auswirkungen haben.

Versorger sind keine karitativen Einrichtungen. Was kann der Staat tun?

Müller Der Staat sollte die Versorger gesetzlich verpflichten, zunächst mildere Sanktionsmittel anzuwenden — etwa Zähler mit Leistungsbegrenzung über Smart Meter oder ein Prepaid-System einzuführen. Dann bekommt der Kunde immerhin eine geringe Menge Strom für das Nötigste. Zudem sollten die Versorger verpflichtet werden, hohe Rückstande nicht erst auflaufen zu lassen und rechtzeitig Ratenzahlungen anzubieten. Überhöhte Mahngebühren sollten ihnen verboten werden. Solche Regeln würden auch den Versorgern helfen.

Inwiefern?

Müller Für Energieunternehmen, die als Grundversorger tätig sind, besteht Versorgungspflicht. Das heißt, sie dürfen keinen Kunden ablehnen, auch wenn zu befürchten ist, dass er schon bald wieder zum säumigen Zahler wird.

Antje Höning führte das Gespräch

(RP)
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