Spekulationen um EZB-Anleihenkäufe Begeht Draghi den nächsten Tabubruch?

Frankfurt · Die niedrige Inflation macht Europas Währungshüter große Sorgen, sie ringen um Mittel gegen das Phänomen. Viele Ökonomen rechnen inzwischen damit, dass die Europäische Zentralbank (EZB) schon bald in den breit angelegten Kauf von Anleihen einsteigen wird.

Das ist Mario Draghi
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Foto: dpa, bjw

Kritiker könnten von den neuesten Prognosen der Notenbank zu Inflation und Wachstum überzeugt werden, die der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) zu seiner Sitzung am Donnerstag (9 Uhr) in Frankfurt erhält - erstmals in der neuen Zentrale der Notenbank im Frankfurter Ostend. Dabei wird auch der Leitzins festgelegt.

Nach jüngsten Zahlen der Statistikbehörde Eurostat steigen die Verbraucherpreise im Euroraum immer langsamer: Im November lag die jährliche Teuerungsrate nur noch bei 0,3 Prozent. Damit wächst die Furcht vor einer Deflation - also einer Abwärtsspirale der Preise, welche die Konjunktur weiter bremsen könnte. Befürworter hoffen, Anleihenkäufe würden die Wirtschaft ankurbeln. Der Leitzins im Euroraum bleibt voraussichtlich auf dem Rekordtief von 0,05 Prozent.

Europas Währungshüter haben den Zins abgeschafft und Strafgebühren für Bankeinlagen eingeführt. Sie fluten die Märkte mit billigem Geld und kaufen umstrittene Kreditpakete. Trotzdem ist die Inflation im Euroraum gefährlich niedrig und die Konjunktur lahmt. Legt die EZB bald nach? Als schärfstes Schwert gelten breit angelegte Anleihenkäufe - doch die sind umstritten. Wir haben Fragen und Antworten zusammengestellt:

Was ist "Quantitative Lockerung"?

Bei "Quantitativer Lockerung" ("Quantitative Easing", QE) drucken sich Zentralbanken quasi selbst Geld, um damit in großem Stil Wertpapiere zu kaufen. Über den Erwerb von Unternehmens- oder Staatsanleihen sollen langfristige Zinsen gesenkt werden. Zudem wird zusätzliches Geld ins Bankensystem geschleust, das die Institute wieder anderweitig - etwa in Form neuer Kredite - verwenden können.
Das soll die Konjunktur in Schwung bringen. Die Menge (Quantität) des Zentralbankgeldes nimmt zu, daher der Begriff "Quantitative Lockerung". Verkäufer der Anleihen sind beispielsweise Banken.

Warum denkt die EZB über breit angelegte Anleihenkäufe nach?

Weil die Inflation im Euroraum bedenklich niedrig bleibt - trotz der extrem lockeren Geldpolitik der Notenbank. Seit Monaten liegt die Teuerung im Euroraum deutlich unter der EZB-Zielmarke von knapp 2,0 Prozent. Im November sank sie auf 0,3 Prozent. Was Verbraucher freut, macht die EZB nervös: Sie fürchtet das Abrutschen in eine Deflation - eine Spirale aus rückläufigen Preisen und schrumpfender Wirtschaft.

Was sagt Draghi?

Draghi betont immer wieder die Entschlossenheit der EZB, sich mit allen denkbaren Mitteln gegen einen Preisverfall zu stemmen. Erst kürzlich versprach er: "Wir werden tun, was wir müssen, um die Inflation und die Inflationserwartungen so schnell wie möglich anzuheben." Das wurde am Markt als Ankündigung für QE verstanden.
"Breit angelegte Anleihekäufe der Notenbank sind wohl nur noch eine Frage der Zeit", meint Commerzbank-Ökonom Christoph Weil.

Was unterscheidet QE in Europa von Ländern wie den USA?

Die EZB muss Geldpolitik für bald 19 höchst unterschiedliche Volkswirtschaften machen. Würde sie sich für den Kauf von Staatsanleihen entscheiden, sähe sie sich 19 Ausgebern solcher Papiere mit sehr unterschiedlichen Zinssätzen gegenüber. Gleichzeitig seien die gemeinsamen Kompetenzen in der Fiskalpolitik begrenzt, erklärt die deutsche EZB-Direktorin Sabine Lautenschläger.

Sieht Draghi dieses Problem nicht?

Auch Draghi räumt ein, dass QE im Euroraum komplizierter wäre als etwa in den USA. Zum einen wirke QE sich in den USA unmittelbar aus, weil Unternehmen sich überwiegend am Kapitalmarkt finanzierten. Im Euroraum finanzierten sie sich hingegen vor allem über Bankkredite.
Zum anderen müsste die EZB Anleihen aller Länder kaufen, nicht nur die der Krisenstaaten.

Gibt es weitere Kritik an Staatsanleihenkäufen?

Ja, weil die EZB Staaten nicht mit der Notenpresse finanzieren darf. Zwar würde die Notenbank bei einer "quantitativen Lockerung" anders als beim Anleihekaufprogramm OMT nicht nur Wertpapiere einzelner Krisenländer kaufen. Doch Bundesbank-Präsident Jens Weidmann warnt:
"Dadurch, dass wir nicht nur Anleihen einzelner Mitgliedstaaten kaufen, sondern Anleihen aller Staaten, wird das Problem der monetären Staatsfinanzierung (...) nicht automatisch beseitigt."

Warum lehnt die Bundesbank Staatsanleihenkäufe ab?

Weidmann befürchtet, dass solche Käufe die Reformmüdigkeit in einigen Ländern verstärken könnten. Er argumentiert: Wenn Staaten darauf bauen können, dass das Eurosystem die Zinsen durch den Ankauf von Staatsanleihen deckelt, könnte dies zu einer stärkeren Verschuldung dieser Länder führen. Denn sie müssten dann nicht mehr für die Folgen einer verfehlten Finanz- und Wirtschaftspolitik haften.

Welche positive Wirkung könnten Anleihenkäufe haben?

Ökonom Carsten Brzeski von der ING-Diba bezweifelt, dass QE ein Allheilmittel für die Krise im Euroraum wäre: "Wir glauben, dass der Effekt von Unternehmens- oder Staatsanleihenkäufen auf die Wirtschaft unsicher ist. Sicher ist nur, dass der Euro weiter fallen würde."

(dpa)
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