Berlin/Düsseldorf Experte: Bahn soll das Schienennetz abgeben

Berlin/Düsseldorf · Das Personalchaos im Mainzer Stellwerk ist von einer Tochterfirma der Bahn, der DB Netz, zu verantworten. Sie führt hohe Gewinne an die Mutter ab und investiert nach Ansicht von Kritikern zu wenig. Der Ruf nach einer Trennung von Netz und Betrieb wird laut.

So unterschiedlich die einzelnen Chefs der Deutschen Bahn auch gewesen sein mögen — in einer Frage waren sie stets gleicher Meinung: Das Schienennetz samt Signal- und Sicherungstechnik, kurz das Netz, gehört zum Konzern. Und damit basta, so hat Hartmut Mehdorn es formuliert. Und sein Nachfolger Rüdiger Grube soll seinerzeit mit Rücktritt gedroht haben, falls es der EU gelänge, ihre Trennungswünsche durchzusetzen.

Die EU argumentierte vor allem mit der Einschränkung des Wettbewerbs, wenn der Fahrweg — auf dem möglichst viele private Bahnen unterwegs sein sollen — dem Marktführer gehört (die Deutsche Bahn fährt rund 75 Prozent aller Regional- und Güterzüge sowie 99 Prozent der Fernzüge). Die Bundesnetzagentur sorgt dafür, dass die Bahn nicht allein über die Nutzung ihres Netzes bestimmen kann, dennoch fühlen sich die Mitbewerber bei dieser Konstruktion unwohl.

Kritiker des Bahn-Konzerns führen zudem ein gewichtiges anderes Argument an: Ein Großteil ihres Gewinns (2012: 2,7 Milliarden Euro) zieht die Deutsche Bahn aus dem Netz. Ein Netz, das an vielen Stellen erneuerungsbedürftig ist oder Engpässe aufweist und wie sich jetzt in Mainz zeigt, personell viel zu stark auf Kante genäht ist.

Die Gewinne aus der Netzsparte, die stark von öffentlichen Mitteln getragen werde, dürften nicht länger an die Bahn-Holding abgeführt werden, sagte Holger Krawinkel, Bahn-Experte beim Bundesverband der Verbraucherzentralen. "Das Geld muss vollständig im Netz bleiben", sagte Krawinkel. Der Bau neuer Bahnstrecken wird in aller Regel aus dem Bundeshaushalt bezahlt.

Ähnlich wie Krawinkel hatte sich Bahn-Aufsichtsratsmitglied Patrick Döring geäußert. "Die hohen Gewinne der Netzgesellschaft von jährlich einer Milliarde Euro sollten bei ihr bleiben und nicht mehr in die große Konzernkasse fließen. Dann hätte die Netzgesellschaft mehr Mittel für Personal und Investitionen", sagte der FDP-Generalsekretär.

"Das Netz ist der wichtigste Gewinnbringer des Konzerns. Hier wird Geld herausgezogen, das aber dringend in der Netzsparte bleiben müsste", sagte auch der Berliner Verkehrsexperte Christian Böttger.

Verbraucherschützer Krawinkel kritisierte den Verbleib des Netzes im Bahnkonzern vor allem aus wettbewerblichen Gründen: Die Bahn könne immer wieder unliebsame Wettbewerber verhindern, weil die Regulierung des Schienennetzes weniger streng organisiert sei als etwa die der Strom- oder Gasleitungen. Die Kontrolle des Schienennetzes sollte vollständig der Bundesnetzagentur übertragen werden, forderte Krawinkel. Oder das Netz werde aus dem Bahnkonzern herausgelöst und in ein Bundesunternehmen überführt. Dann könnte der Bund eigenveranwortlich dem Grundgesetzauftrag nachkommen, für das Allgemeinwohl beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes zu sorgen.

Die Erfahrungen im Ausland mit der Trennung von Netz und Bahnbetrieb sind durchaus zwiespältig. In Großbritannien hatte die Zerschlagung der Staatsbahn British Rail und die Verselbstständigung des Netzes zu einer dramatischen Verschlechterung der Qualität geführt. Nach einer Reihe von schweren Unfällen, die auf Mängel am Gleis zurückzuführen waren, wurde das Netz einer neuen, nicht auf Gewinn ausgerichteten Gesellschaft übertragen. In Frankreich, dessen Eisenbahn noch voll in Staatsregie betrieben wird, ist das Netz 1997 ausgegliedert worden. Die Trennung wird zurzeit rückgängig gemacht.

(mar)
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