Anne Brorhilker Ex-Staatsanwältin schlägt Alarm wegen Steuerbetrug
Düsseldorf · Anne Brorhilker, mittlerweile Geschäftsführerin der Bürgerbewegung Finanzwende, kritisiert das Bürokratientlastungsgesetz. Warum das die Ermittlungen bei Cum ex und Cum cum erschweren könnte.
Wie viele Milliarden Euro dem Staat durch den Steuerbetrug über sogenannte Cum-ex- und Cum-Cum-Geschäfte entgangen sind, darüber gibt es immer nur Schätzungen. Allein bei Cum-Cum-Deals geht es nach Angaben von Anne Brorhilker um 28 Milliarden bis 30 Milliarden Euro, die dem Fiskus vorenthalten wurden durch die Betrügereien am Kapitalmarkt. Die frühere Kölner Oberstaatsanwältin, die über Jahre als das Gesicht im Kampf gegen den Steuerbetrug galt, hat dieses Jahr die Seiten gewechselt, mit viel Frust vermutlich über die mangelnde Ausstattung der Ermittlungsbehörden. Seither ist sie Geschäftsführerin der Bürgerbewegung Finanzwende, die unter anderem gegen die Finanzkriminalität im großen Stil kämpft.
Jetzt geht es Brorhilker und Gerhard Schick, ebenfalls Finanzwende-Geschäftsführer, um ein Gesetz, das am kommenden Donnerstag im Bundestag verabschiedet werden soll und den Kampf gegen die Steuerbetrüger deutlich erschweren könnte: das Bürokratieentlastungsgesetz. Dahinter verbirgt sich unter anderem die Idee, dass Buchungsbelege nicht mehr zehn, sondern nur noch acht Jahre aufbewahrt werden müssen. Das Ziel: den Papierkram verringern und damit den bürokratischen Aufwand. Allein die Verkürzung der Aufbewahrungsfristen soll die Wirtschaft um 625 Millionen Euro entlasten.
Aus Sicht von Brorhilker und Schick ein folgenschweres Vorhaben, weil es den Steuerbetrügern größere Chancen eröffnet, ungeschoren davonzukommen. „ Die Täter können dann den Schredder anwerfen und ganz legal Beweismittel vernichten“, sagt Brorhilker und meint damit, dass Buchungsbelege, die Fahnder bei ihren Ermittlungen hätten sicherstellen und auswerten können, dem Zugriff der Behörden schneller als bisher entzogen werden. Die Aufklärung des größten Steuerraubs der Geschichte werde erheblich erschwert.
Wodurch dem Staat Steuereinahmen in Milliardenhöhe entgehen könnten, weil sich der Steuerbetrug nicht mehr oder zumindest viel schwerer nachweisen ließe. Dagegen sei die Ersparnis durch den Bürokratieabbau vergleichsweise klein, heißt es. Und bricht man den vermuteten dreistelligen Millionenbetrag auf einzelne Unternehmen herunter, wird es noch deutlicher: „Bei denen, die digitale Ablagesysteme haben, macht die Ersparnis zwölf Euro pro Jahr aus, bei denenen, die noch eine Papierablage haben, vielleicht 350 Euro im Jahr.“
Das Gesetz, das am 18. Oktober noch den Bundesrat passieren müsste, ist somit für die Kritiker ein Schlag ins Gesicht der Strafverfolgungsbehörden, die seit Jahren die Steuerbetrüger zu überführen suchen. „Da werden Knüppel zwischen die Beine der Ermittler geworfen, und das, obwohl die Bundesregierung doch nach Milliarden sucht, mit denen sie Probleme im Haushalt lösen könnte“, kritisiert Schick, früherer Bundestagsabgeordneter der Grünen.
Die Deals der Steuerverbrecher haben, vereinfacht, so funktioniert: Bei Cum-ex wurde nach dem Hin- und Herschieben von Aktien rund um den Dividendenstichtag Kapitalertragsteuer zweimal erstattet, obwohl sie nur einmal gezahlt worden war. Bei Cum-Cum wurde die Steuer erst gar nicht abgeführt: Der Trick: Ein ausländischer Aktionär verleiht ein Aktienpaket an eine deutsche Bank und kassiert dafür beispielsweise 90 Prozent der Ausschüttung als Gebühr. Die Bank kassiert die Dividende, zahlt darauf 25 Prozent Kapitalertragsteuer, die sie aber meist wieder erstattet bekommt. Das bedeutet: Sie kassiert 100 Prozent Dividende, zahlt 90 Prozent Leihgebühr und verdient zehn Prozent. Der Anteilseigner aus dem Ausland kassiert 90 Prozent der Dividende und damit meist immer noch mehr, als wenn er als Aktionär mit Dividendenanspruch in Erscheinung getreten wäre. Dann hätte er nämlich etwa 15 Prozent Kapitalertragsteuer zahlen müssen. Dafür braucht es eine Partnerbank, die das Spiel mitmacht. Anders als bei Cum-Ex, wo vor allem große Institute mitgemischt haben, sind bei den Cum-cum-Geschäften laut Brorhilker auch viele kleinere Banken und Sparkassen mit von der Partie gewesen.
Was sie zudem verärgert: „Schon die zehn Jahre sind zu kurz.“ Und sie passen nicht zu der Verjährungsfrist für schwere Steuerhinterziehung. Die ist vor vier Jahren nämlich vor allem mit Blick auf die Cum-ex- und Cum-Cum-Geschäfte von zehn auf 15 Jahre verlängert worden.“ Das ficht die Befürworter des Gesetzes allerdings nicht an. Zu denen werden vor allem die Vertreter der FDP gezählt, während Finanzpolitiker von SPD und Grünen ihre Bedenken angemeldet haben. .Da ist der nächste Streit innerhalb der Ampel-Koalition offensichtlich schon im Gange.