Brüssel EU will Wirtschaftsreformen belohnen

Brüssel · Staaten, die ihr Rentensystem zukunftsfähig machen, den Arbeitsmarkt liberalisieren oder sich dem Binnenmarkt weiter öffnen, sollen Geld für Investitionen in wachstums- und beschäftigungsfördernde Aktivitäten erhalten.

Zuckerbrot und Peitsche – mit dieser Strategie hat die Bundeskanzlerin im Kampf gegen die Schulden-Krise für Kritik gesorgt, gerade in den Problemstaaten Südeuropas. Der Euro-Rettungsschirm funktioniert nach dem Prinzip "Hilfskredite nur gegen harsche Sparauflagen". Die deutsche Kanzlerin nannte das Ganze Solidarität gegen Solidität, was besser klingt, aber genau diese Konditionalität meint.

Beim EU-Gipfel Ende der Woche wollen die Staats- und Regierungschefs nun auf Druck Merkels ein neues Kontrollinstrument auf den Weg bringen. Laut einem Entwurf der Schlussfolgerungen, der unserer Zeitung vorliegt, verpflichten sich die EU-Chefs, "ein System vertraglicher Vereinbarungen und damit verbundener Solidaritätsmechanismen" zu schaffen. Im Frühjahr 2014 soll es endgültig unter Dach und Fach gebracht werden.

Die Idee: Die Euro-Staaten verpflichten sich vertraglich gegenüber der EU-Kommission zu Strukturreformen, die ihre Wettbewerbsfähigkeit fördern. Wer sein Rentensystem also für die Zukunft tragfähig macht, den Arbeitsmarkt liberalisiert oder sich dem Binnenmarkt weiter öffnet, der soll als Belohnung finanzielle Unterstützung für Investitionen in wachstums- und beschäftigungsfördernde Politik erhalten. Form und Höhe der Hilfe sollen bis Frühjahr feststehen. Zur Diskussion stehen Darlehen, Zuschüsse oder Garantien. Die Hilfen sollen dem Papier zufolge "kein Instrument zum Einkommensausgleich" sein und "keine Auswirkungen auf den mehrjährigen Finanzrahmen" 2014 bis 2020 haben, also nicht aus dem Brüsseler Haushalt kommen.

Als die Idee vor gut einem Jahr aufkam, kursierte eine Zahl von bis zu zwanzig Milliarden Euro für so einen Solidaritäts-Mechanismus. Viele Euro-Staaten wollen mehr Mittel, Deutschland nicht. Die Verträge sollen für jene Staaten der Währungsgemeinschaft zur Anwendung kommen, die nicht unter dem Rettungsschirm sind und von der Troika beaufsichtigt werden. Bei Staaten, gegen die ein Defizitverfahren oder ein Verfahren wegen wirtschaftlicher Ungleichgewichte läuft, könnte "die vertragliche Vereinbarung durch den Korrekturmaßnahmenplan oder das Wirtschaftspartnerschaftsprogramm ersetzt werden", heißt es in dem Entwurf der Gipfel-Schlussfolgerungen.

Während bei den Sorgenkindern Griechenland, Zypern oder Portugal die Milliardenkredite das Druckmittel für Reformen sind, sollen bei den anderen Staaten die neuen Verträge ein Lockmittel dafür sein, dass die Euro-Länder die jährlichen wirtschaftspolitischen Empfehlungen der EU-Kommission künftig befolgen.

Frankeich etwa verschleppt nötige Strukturreformen auf dem Arbeitsmarkt und im Rentensystem, hinkt bei der Wettbewerbsfähigkeit speziell der Industrie weit hinterher und gilt auch deshalb als Sorgenkind der Eurozone. Von Deutschland forderte die EU-Kommission zuletzt immer wieder, die Binnennachfrage zu stärken und die hohe Steuer- und Abgabenbelastung zu senken.

Die EU-Kommission soll überwachen, ob die Länder ihre Verpflichtungen aus den Reformverträgen auch einhalten. "Prinzipiell ist nichts dagegen einzuwenden, dass finanzielle Unterstützung oder Anreize von bestimmten Reformen abhängig gemacht werden", meint EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD). Er sorgt sich aber um die demokratische Legitimation der Reform-Verträge. Denn das Europaparlament soll dabei keine Rolle spielen.

Jedoch werden die Euro-Staaten angehalten, die wirtschaftspolitischen Maßnahmen in den Reform-Verträgen "durch eine geeignete Einbindung der nationalen Parlamente und der Sozialpartner" auszuarbeiten. Sie müssen dann von der EU-Kommission und dem Rat gebilligt werden – samt Umsetzungsfristen.

(RP)
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