Brüssel EU streitet über Schuldenschnitt für Athen

Brüssel · Schäuble lehnt einen Schuldenerlass ab, Währungsfonds-Chefin Lagarde ist dafür. Und immer mehr Deutsche folgen ihr.

Christine Lagarde ist das Durchwurschteln und Schönreden in Sachen Griechenland leid: Vom heutigen Krisen-Treffen der Finanzminister fordert die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) Schluss mit dem Wunschdenken. Für Lagarde bedeutet das nichts anderes, als einen Forderungsverzicht der staatlichen Gläubiger. Die Argumente dafür liegen klar auf der Hand: Athen ächzt unter einer Schuldenlast von rund 340 Milliarden Euro – oder 175 Prozent der Wirtschaftsleistung. Bis 2014 steigt diese bei anhaltender Rezession auf knapp 190 Prozent. Ziel der Geldgeber ist es, die Schuldenquote bis 2020 auf das tragbare Niveau von 120 Prozent zu drücken. Der IWF will nur weiter Rettungshilfen mitfinanzieren, wenn diese Marke als Zeichen der Überlebensfähigkeit eines Landes erreicht wird. Doch das erscheint ohne Schuldenerlass genau als jenes Wunschdenken, das die Französin anprangert.

Der Effekt eines Schuldenerlasses wäre groß: Von den 340 Milliarden Euro an Staatsschulden werden mittlerweile 200 Milliarden von öffentlichen Gläubigern gehalten: also vom IWF, der Europäischen Zentralbank (EZB), dem Euro-Rettungsfonds und den Euro-Ländern. Ein Forderungsverzicht von 50 Prozent brächte Hellas also theoretisch mit einem Schlag eine Entlastung von 100 Milliarden Euro. Griechenland hätte eine Perspektive, wieder auf die Beine zu kommen. Denn die Etat-Konsolidierung macht durchaus Fortschritte. Im September hat Hellas – ohne Schuldendienst – erstmals einen Haushaltsüberschuss von 775 Millionen Euro erwirtschaftet, wie die griechische Zentralbank gestern mitteilte.

Ökonomen wie der Wirtschaftsweise Peter Bofinger meinen: "Ohne einen solchen Schnitt wird das Land nicht wieder auf die Beine kommen." Ähnlich äußerte sich gestern Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier: "Ich glaube, auf Dauer wird man daran nicht vorbeikommen. Es wird am Schluss so sein, dass wir einen Beitrag leisten müssen." Auch Rainer Brüderle, Chef der FDP-Bundestagsfraktion, vermied es gestern, einen Schuldenschnitt für Griechenland auszuschließen. "Ich glaube, kurzfristig steht das nicht an", sagte er nur.

Für Deutschland wäre das Ganze teuer. Denn die Bundesregierung hat mit 34 Milliarden Euro bisher so viel Geld nach Athen geschickt wie kein anderer Staat. Und im Wahljahr will die Kanzlerin den Bürgern nicht erklären, dass sie davon gut 17 Milliarden Euro nie mehr wiedersehen. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble argumentiert juristisch gegen den Schuldenschnitt: Laut Haushaltsrecht könne Deutschland nicht neue Hilfen und Garantien für ein Krisenland geben, wenn für bereits gewährte Kredite ein Forderungsverzicht akzeptiert werde.

Auch die Europäische Zentralbank als Hauptgläubiger des südeuropäischen Staates lehnt einen Schuldenverzicht ab. Sie sieht darin einen Transfer und damit eine Staatsfinanzierung, die ihr die Gesetze verbieten.

Daneben gibt es handfeste politische Gründe gegen den Schuldenerlass: Eine Erleichterung birgt die Gefahr, dass die nötigen Reformen für mehr Wettbewerbsfähigkeit ausbleiben und Begehrlichkeiten bei anderen Krisenstaaten geweckt werden. Der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Dennis Snower, warnt zudem vor Ansteckungsgefahren für andere Länder. Investoren könnten einen Schuldenschnitt auch bei anderen Eurostaaten befürchten und diesen deswegen kein Geld mehr leihen.

Um einige dieser Risiken zu umgehen, hat Bundesbank-Chef Jens Weidmann angeregt, Athen den Schuldenerlass als Belohnung für die Umsetzung von Reformen in Aussicht zu stellen. Für die Kanzlerin hätte das den Charme, dass sie sich ohne Forderungsverzicht übers Wahljahr 2013 retten kann. Auch das lehnt Schäuble aber ab. "Ein Schuldenschnitt ist für uns nach wie vor nicht vorstellbar", sagte Schäubles Sprecherin.

Die Euro-Finanzminister jedenfalls dürften sich heute darauf beschränken, eine Finanzlücke von 13,5 Milliarden Euro im Rettungsplan zu stopfen, die entsteht, weil Hellas länger Zeit zum Sparen bekommt. Ob Christine Lagarde das reicht, wird sich zeigen. Denn steigt die mächtige IWF-Chefin aus der Hellas-Hilfe aus, wird es erst recht teuer für die Euro-Partner. Laut dem Centrum für Europäische Studien (CEP) müsste alleine Deutschland dann schon für zusätzlich gut sechs Milliarden Euro haften.

(RP)
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