Gemeinsame Kampagne Handel macht mobil gegen Impfmüdigkeit

Düsseldorf · Der Verband und viele Mitgliedsunternehmen wollen unter anderem Flächen bereitstellen. Dahinter steht auch handfestes Eigeninteresse. Mancher Non-Food-Händler hat Sorge vor einem erneuten Lockdown.

 Heute im Angebot: Impfung. Ein Bus Anfang August auf einem Aldi-Parkplatz in Rheinland-Pfalz.

Heute im Angebot: Impfung. Ein Bus Anfang August auf einem Aldi-Parkplatz in Rheinland-Pfalz.

Foto: dpa/Frank Rumpenhorst

Seit dem ersten pandemiebedingten Lockdown 2020 im deutschen Einzelhandel haben dessen Branchenvertreter mehr als einmal auf ein Öffnungskonzept für die Mitgliedsunternehmen gedrungen, die geschlossen werden mussten und dadurch hohe Einbußen erlitten. Der Unmut im Handel war seinerzeit groß. Jetzt aber sind sich alle einig – zumindest darüber, dass man etwas tun muss gegen die Impfmüdigkeit, die gegenwärtig in Deutschland grassiert. Der Handelsverband HDE, mehr als ein Dutzend seiner Mitgliedsunternehmen und der Zentrale Immobilien-Ausschuss (ZIA) als Spitzenverband der Immobilienwirtschaft wollen sich in einer gemeinsamen Kampagne für eine Steigerung der Impfbereitschaft einsetzen.

Und sie haben dafür die Unterstützung der Politik. „Es freut mich sehr, dass der Handel sich für eine möglichst hohe Impfbereitschaft einsetzt und die Länder und Kommunen bei der Umsetzung niedrigschwelliger Impfangebote unterstützen will. Mit Blick auf die Delta-Variante und Herbst und Winter zählt jede Impfung“, erklärte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der Schirmherr der Aktion.

Dabei haben die Beteiligten nicht nur das gesellschaftliche Gemeinwohl im Auge, sondern auch handfeste eigene Interessen. Natürlich. Denn jene, die kein Lebensmittelgeschäft betreiben und auch sonst keine Waren des Alltagsbedarfs verkaufen, müssten bei einer vierten Welle mit erneuten Einschränkungen rechnen. Auch deshalb läuft die Kampagne unter dem Titel „Leben statt Lockdown. Lass dich impfen.“ Was die Beteiligten wollen:

Erstens wollen sie breitflächig für die Impfung werben – mit Plakataktionen in Schaufenstern und an den Kassen, mit Informationsbroschüren, die nach derzeitigem Stand in fünf Sprachen (auf Deutsch, Englisch, Russisch, Türkisch und Arabisch) ausgelegt werden, und über die Social-Media-Kanäle der Unternehmen und Verbände.

Zweitens wollen sie Fläche bereitstellen für Impfaktionen an ausgewählten Standorten in Absprache mit den Gesundheitsämtern, dem Roten Kreuz und anderen Organisationen. Es hat bereits mehrere solcher Aktionen in Einkaufzentren des Shopping-Mall-Betreibers ECE in Neuss und Wuppertal gegeben, weitere folgen an den beiden Standorten sowie in den City-Arkaden in Wuppertal und in der Rathaus-Galerie Leverkusen.

Drittens wollen sie in Testimonials mit bekannten Gesichtern werben. Eines davon wird Fußball-Nationalspieler Emre Can von Borussia Dortmund sein.

Dass die Unternehmen damit wahrgenommen werden, steht außer Frage. Denn sie erreichen damit nach eigenen Angaben 40 Millionen Kunden pro Tag, also fast die Hälfte der deutschen Bevölkerung. Mitmachen wollen Aldi Nord und Süd, Breuninger, Deichmann, Deutsche Euroshop, ECE Group, Edeka, Ernsting’s Family, Galeria Karstadt Kaufhof, Intersport, Kik, Lidl, Kaufland, Media-Markt-Saturn, Metro, die Rewe-Gruppe, S-Oliver, Tengelmann, Thalia, der Gastro-Spezialist Transgourmet und Unibail-Rodamco-Westfield Germany, der deutsche Ableger des gleichnamigen französischen Immobilien- und Investmentunternehmens.

Dass die Immobilienbranche sich an der Aktion beteiligt, liegt auch daran, dass beispielsweise Einkaufszentren-Betreiber ECE dabei ist. Der wäre von Zwangsschließeungen auch betroffen, weil große Teile der Mieter in den Zentren aus dem Non-Food-Geschäft kommen. Und generell müssten Vermieter von Handelsimmobilien in einer vierten Welle der Pandemie mit erneuten Mietausfällen rechnen. Das will verständlicherweise niemand.

Und deshalb auch kein pauschales Öffnungsverbot für den Non-Food-Handel. Michael Busch, der Chef der Buchhandelskette Thalia, hat vor der Ministerpräsidentenkonferenz in der kommenden Woche einen Expertenrat mit Vertretern aus Politik, Wissenschaft und betroffenen Unternehmen gefordert, der eine neue Strategie festlegen soll – mit einer Überarbeitung der bundesweiten Notbremse, neuen Inzidenz-Schwellenwerten und einer stärkeren Berücksichtigung der Intensivbetten-Belegung. Das alles vor dem Hintergrund, dass der Handel kein Infektions-Hotspot sei.

Der ZIA hat gleich einen ganzen Vorschlagskatalog für die politischen Entscheidungträger parat. Dazu gehören auch Ideen, inwieweit UVC-Licht in geschlossenen Räumen und die Überwachung durch CO2-Messungen die Virenlast im Ladenlokal verringern könnten, und Forderungen nach einer Sonntagsöffnung, durch die Umsatzverluste zum Teil aufgefangen werden sollen. Spätestens da werden aber wohl die Gewerkschaften kategorisch Nein sagen.

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