Gastbeitrag Ein Plädoyer für mehr Soziale Marktwirtschaft in der Energiewende
Meinung | Düsseldorf · Was würde Ludwig Erhard sagen, wenn man ihn nach seiner Meinung zur deutschen Energiepolitik der letzten Jahre fragen würde? Es bedarf nur wenig Fantasie sich vorzustellen, dass sein Urteil alles andere als wohlwollend ausfiele.
Mit der Sozialen Marktwirtschaft verbinden sich — neben Grundsätzen wie dem Kartellverbot oder der Tarifautonomie — vier elementare Prinzipien: die freie Preisbildung, der Vorzug marktwirtschaftlicher Instrumente, eine ordnungsrechtliche Rahmensetzung durch die Politik und Planungssicherheit für Investitionen. Dass die deutsche Energiewende momentan eher durch Fehlentwicklungen, hohe Kosten und Paradoxien ("Irsching-Schock") von sich reden macht, ist die logische Konsequenz einer fortdauernden Nichtbeachtung dieser Erhard'schen Leitsätze in der Energiepolitik.
Erstens: Freie Preisbildung
Die zentrale Annahme der Sozialen Marktwirtschaft ist, dass sich Preise am besten durch das Wechselspiel von Angebot und Nachfrage im freien Wettbewerb bilden. Dieses Prinzip wurde im Strommarkt durch die Einführung des EEG ausgehebelt. Die Politik hat damit erheblich in die Preisbildung eingegriffen. Das war zum damaligen Zeitpunkt angezeigt, da es schien, dass nur so das Versorger-Oligopol aufgebrochen und Innovationen und Investitionen im Bereich der erneuerbaren Energien angestoßen werden könnten. Über die Jahre haben die garantierten Einspeisevergütungen jedoch auch dazu geführt, dass der Zubau der Erneuerbaren ohne Berücksichtingung der tatsächlichen Stromnachfrage und ohne Mehrwert für die Versorgungssicherheit gefördert wurde. Die EEG-Reform im letzten Jahr war ein erster richtiger Schritt hin zum Rückzug der Politik aus der Strompreisbildung.
Zweitens: Vorzug marktwirtschaftlicher Instrumente
Auf dem Weg zu einem wettbewerbsfähigen Strompreisniveau braucht es zudem einen konsequenten Vorzug marktwirtschaftlicher Instrumente bei der Förderung der Erneuerbaren Energien. Wir brauchen mehr echten Wettbewerb zwischen den verschiedenen Energieerzeugern. Hierzu gehören schnellere und durchgängige Auktionierungen. Deren Ausgestaltung muss auch kleineren Unternehmen faire Zugangsberechtigungen bieten und eine ausreichende Zahl an Bietern ansprechen. Unter diesen Voraussetzungen sind Auktionen ein effizientes Mittel zur Bestimmung von Preisen. Die Erzeuger regenerativer Energie müssen sobald wie möglich selbst Verantwortung für Preise und Versorgungssicherheit tragen.
Scheint die Energiepolitik zumindest in Sachen freie Preisbildung und marktwirtschaftliche Instrumente mittlerweile auf dem richtigen (Erhard'schen) Weg zu sein, trifft für die Aspekte Ordnungspolitik und Planungssicherheit das Gegenteil zu.
Drittens: Ordnungsrahmen
Die Soziale Marktwirtschaft muss zwar — Stichwort Klimaschutz — klare Ziele und Prioritäten im Sinne des Gemeinwohls setzen. Sie setzt bei deren Erreichung aber nicht auf immer neue Regulierungen, sondern auf einen verbindlichen Ordnungsrahmen. Genau das ist die Grundidee des europäischen Emissionshandels, der durch eine Deckelung des CO2-Ausstoßes und den Handel mit Verschmutzungsrechten einen effizienten, marktwirtschaftlichen Klimaschutz ermöglichen sollte. Der europaweite Zertifikatehandel soll zudem — so auch die jüngste Rechtsprechung des EuGH — Wettbewerbsverzerrungen innerhalb der Europäischen Union verhindern. Dennoch haben sich Deutschland und sogar einige Bundesländer eigene Klima- und Autarkieziele gesetzt. Das gute Vorbild ist ein wichtiges politisches Argument, aber in der Sache brauchen wir eine Dynamik in die entgegen gesetzte Richtung: Statt nationale Parallelsysteme aufzubauen, statt 16 kleinteilige Länder-Energiewenden, müssen wir den Emissionshandel international ausdehnen. Damit würden Wettbewerbsverzerrungen eingegrenzt. Bei der Weltklimakonferenz in Paris Ende des Jahres müssen hierfür die ersten Grundlagen entstehen. Deutschland und Europa alleine werden das Klima nicht retten. Zum Erfolg beim Klimaschutz braucht es mehr Europa, mehr Binnenmarkt, mehr Internationalität.
Viertens: Planungssicherheit
Wir dürfen die Grundlagen unserer politischen Handlungsfähigkeit nicht gefährden: Unsere Wirtschaft leidet unter den ständigen Ad-Hoc-Eingriffen seitens der Politik. Ein Grundprinzip der Sozialen Marktwirtschaft ist es, möglichst stabile rechtliche Rahmenbedingungen zu setzen und den Unternehmen Planungssicherheit geben. Die deutsche Politik treibt die Energiebranche jedoch bereits seit Jahren vor sich her. Wirtschaftsvertreter beklagen in Umfragen immer wieder die Unberechenbarkeit der deutschen Energiepolitik. Wer will es ihnen verdenken? Verlängerung der Laufzeit, Rücknahme der Laufzeitverlängerung für die deutschen Kernkraftwerke - dieses Hin und Her setzte die Versorger unter Druck, gerade weil der Beschluss noch einmal über den rot-grünen Atomausstieg hinausging. Da sich die Preise für die Verschmutzungsrechte im EU-Emissionshandel nicht auf dem erhofften Niveau eingependelt haben, greift man nun wieder in den Markt ein und will durch eine Marktstabilitätsreserve die Preise erhöhen. Das noch im schwarz-roten Koalitionsvertrag bestätigte KWK-Ausbauziel von 25 Prozent bis 2020 wird vom Bundeswirtschaftsministerium nur ein gutes Jahr später wieder in Frage gestellt. So kann es nicht weitergehen. Wir brauchen belastbare Eckpunkte für die Reaktion auf absehbare Zielverfehlungen — bei Ausbaupfaden wie Reduktionszielen. Die Politik muss sich auf verbindliche Alternativszenarien einigen, die der Wirtschaft auch für Eventualitäten eine gewisse Planungssicherheit geben.
Last, but not least: Versorgungssicherheit für das Industrieland
Wir müssen als Industrieland die Versorgungssicherheit endlich wieder zu einer Priorität machen. Industrie ohne Energie geht nicht. Deshalb ist die Energiewende auch nicht dann ein Erfolg, wenn wir das letzte Kohlekraftwerk zugunsten eines Windparks abgeschaltet haben. Sie ist dann erfolgreich, wenn dieser Prozess so organisiert wird, dass wir auch weiterhin eine der erfolgreichsten Volkswirtschaften der Welt bleiben: mit zukunftssicheren Industriearbeitsplätzen, mit geschlossenen Wertschöpfungsketten und einem weltweit erfolgreichen Mittelstand. Erhard würde dem sicherlich zustimmen.
An diesem Ziel muss sich auch sein Nachfolger im Amt messen lassen. Kürzlich wurden dessen Pläne bekannt, für ältere konventionelle Kraftwerke eine neue, zusätzliche Klimaabgabe einzuführen. Sie würde die Investitions- und Versorgungssicherheit unseres Energiestandorts gefährden. Sie würde einen krassen Eingriff in Eigentumsrechte und den Energiemarkt darstellen. Sie würde die Wettbewerbsfähigkeit der Kohlekraft künstlich verschlechtern. Sie würde einseitig zu Lasten einer Technologieform gehen. Sie würde ein unwirksames Parallelsystem zum EU-Eimissionshandel aufbauen. Sie würde das faktische Ende der Braunkohleverstromung einläuten und so den einzigen, gleichermaßen grundlastfähigen, importunabhängigen und subventionsfreien deutschen Energieträger aus dem Markt drängen. Ludwig Erhard würde verzweifeln, wenn jemand behaupten würde, dieses planwirtschaftliche Bürokratendenken hätte auch nur irgendetwas mit den Grundsätzen der Sozialen Marktwirtschaft zu tun.