Düstere Warnung der IWF-Chefin

Christine Lagarde sieht weltweit Anzeichen für eine mögliche krisenhafte Eskalation der Wirtschaftslage, doch deutsche Ökonomen widersprechen: Ein Absturz wie in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts sei unwahrscheinlich. Viele Weltregionen verlieren 2012 jedoch deutlich an Dynamik.

Berlin/Düsseldorf Die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, hat die Weltgemeinschaft vor einer neuen Weltwirtschaftskrise gewarnt. "Es gibt in der Welt keine Volkswirtschaft, die immun ist gegen die Krise, die sich derzeit nicht nur entfaltet, sondern eskaliert", sagte Lagarde im Washingtoner Außenministerium. Die frühere französische Finanzministerin verglich die gegenwärtige Gefahrensituation sogar mit der Zeit vor dem Ausbruch der Großen Depression 1929, bevor der Zweite Weltkrieg ausbrach. Der größte Krisenherd befinde sich derzeit in den Ländern der Euro-Zone.

Es liegt in der Verantwortung des IWF, frühzeitig auf die Gefahr eines Absturzes der Weltwirtschaft hinzuweisen. Tatsächlich sind die konjunkturellen Aussichten für die Jahre 2012 und 2013 in fast allen Weltregionen düster. Lagardes Appell ist aber vor allem ein Wachrütteln: Viele Regierungen haben aus Sicht des IWF noch immer nicht verstanden, dass sie Schulden schneller abbauen, Märkte nicht abschotten, sondern liberalisieren und Zölle senken müssen, um eine globale Krise zu verhindern.

Die Große Depression als eine besonders schlimme Rezession nahm ihren Ausgang am "Schwarzen Freitag", dem 29. Oktober 1929, als die New Yorker Börse abstürzte. Zuvor hatte die US-Notenbank die Zinsen erhöht. In der Folge gingen weltweit Banken und Unternehmen pleite, zuerst in den USA. Amerikanische Banken zogen Milliarden Dollar aus Europa ab. Das brachte die deutsche Wirtschaft zum Absturz, sechs Millionen Menschen wurden arbeitslos, Hitler kam an die Macht.

Der erneute Ausbruch einer Depression ist aus Sicht von Ökonomen heute jedoch unwahrscheinlich: Dagegen spricht vor allem, dass die wichtigsten Notenbanken der Welt eine Niedrigzinspolitik betreiben. Erst vergangene Woche hatte etwa die Europäische Zentralbank (EZB) ihren Leitzins auf nur noch ein Prozent gesenkt.

Die Aussichten für die Weltkonjunktur bezeichnete die IWF-Chefin gleichwohl als "ziemlich düster". Es bestehe fast überall auf dem Globus die Gefahr, dass sich das Wachstum verlangsame und die öffentlichen Haushalte ins Schwanken gerieten. Lagarde ortete den Kern der Krise in der Euro-Zone. Diese müsse eine gemeinsame Fiskalpolitik schaffen und so den Konstruktionsfehler des Euro beseitigen.

Die Finanzmärkte mahnte Lagarde zu mehr Geduld. Demokratien könnten grundlegende Veränderungen nicht von einem Tag auf den anderen in die Tat umsetzen. Erst vor zwei Wochen hatte die Industrieländerorganisation OECD ihre Wachstumsprognose für die Welt nach unten korrigiert. Während China noch auf hohes, aber für seine Verhältnisse deutlich verlangsamtes Wachstum hoffen könne, drohe vielen Staaten in der Euro-Zone eine Rezession.

Besser als in vielen anderen Ländern sieht es jedoch in Deutschland aus: Das größte Industrieland Europas profitiert von seinem hohen Beschäftigungsstand, der den Konsum stützt. Die Zahl der Arbeitslosen sinkt nach allen Prognosen im kommenden Jahr weiter deutlich unter die Drei-Millionen-Marke. Allerdings ist die Wirtschaft stark exportabhängig. Allein von der Ausfuhr in Länder der Euro-Zone hängen in Deutschland drei Millionen Arbeitsplätze ab.

"Wenn man sich allein die harten Zahlen anschaut, ist zurzeit nichts Dramatisches zu erkennen", beruhigt Roland Döhrn, Konjunkturchef des Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsforschungsinstituts. "In Deutschland haben die neuesten Arbeitslosenzahlen und die Entwicklung der Industrieproduktion sowie der Auftragseingänge sogar positiv überrascht."

Auch Thomas Straubhaar, Präsident des Hamburger Weltwirtschaftsinstituts, verwies auf große Unterschiede zu damals. "Der Unterschied der heutigen Lage zu 1929/31 ist, dass wir heute viel globaler aufgestellt sind", sagte Straubhaar. "So gibt es in jeder Zeit Märkte, die auf die Weltwirtschaft stabilisierend wirken wie Südostasien, Lateinamerika und auch der arabische sowie in Zukunft der nordafrikanische Raum." Auch seien die Zinsen derzeit – anders als in den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts – auf historischem Tiefstand. "Das hilft den Banken und damit der Wirtschaft. Hier hat die EZB aus früheren Krisen gelernt."

(RP)
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