Schwerpunkt Diversity Wie divers sind die Unternehmen von NRW?

Düsseldorf · Die Chefs der großen NRW-Konzerne sind fast alles weiße Männer. Doch unter der ersten Ebene setzt sich Vielfalt immer mehr durch. Eine Beraterin sagt: „Nur so können die Unternehmen genügend gute Leute finden.“

 Henkel hat als einziger der großen börsennotierten Konzerne Deutschlands eine weibliche Aufsichtsratschefin. Es ist seit zwölf Jahren Simone Bagel-Trah.

Henkel hat als einziger der großen börsennotierten Konzerne Deutschlands eine weibliche Aufsichtsratschefin. Es ist seit zwölf Jahren Simone Bagel-Trah.

Foto: henkel ag

Wie divers, wie bunt und breit aufgestellt sind die Unternehmen von NRW? Ein Blick auf den Chef ergibt eher ein eintöniges Bild: Vorstandschef der Telekom in Bonn ist Tim Höttges- aufgewachsen in Solingen, ein männlicher Betriebswirt, seit Ewigkeiten im Konzern, das Studium absolvierte er in Köln, nun wohnhaft in Bonn.  Henkel-Chef Carsten Knobel, Bayer-Primus Werner Baumann oder auch Post-CEO  Frank Appel zeichnen sich auch nicht gerade durch globale  Herkunft oder ein anderes Geschlecht aus, was vom neuen Eon-Leiter Leonhard Birnbaum, RWE-Boss Markus Krebber oder dem Lanxess-Chef Matthias Zachert ebenfalls nicht zu sagen ist. Fast schon ungewöhnlich sticht da Vodafone Deutschland hervor: Dort sitzt mit Hannes Ametsreiter immerhin ein Ausländer am Steuer – nun ja, er kommt aus Österreich.

Weiß, männlich, deutschsprachig. So sieht die erste Etage der meisten Unternehmen in Deutschland und NRW weit überwiegend aus. Gleichzeitig ist aber unverkennbar, dass die Wirtschaft aus reinem Egoismus deutlich globaler und breiter organisiert ist als manche andere gesellschaftliche Institution Deutschlands. „Die Unternehmen müssen sich divers aufstellen, um in der Zeit des Fachkräftemangels alle Talente anzuziehen“, sagt die Unternehmensberaterin Nicole Voigt von der Boston Consulting Group. „Nur so können sie innovativ in die Zukunft gehen.“ Dies ergänzt die Psychologin Rosel Bender von der Kölner Firma Evolog: „In den Unternehmen kommen oft verschiedenartigere Menschen zusammen als im Privatleben. Sie sind der Schmelztiegel der Gesellschaft.“  Und Andreas Ehlert, Chef von Handwerk NRW sagt: „Es ist egal, wo jemand herkommt, wichtiger ist, wohin er oder sie will. Darum sind die Handwerksbetriebe offen für einen sehr breiten und vielfältigen Nachwuchs.“

So nachvollziehbar dieses Bekenntnis ist, so widersprüchlich ist die Lage. Einerseits sind in den letzten Jahrzehnten zehntausende Informatiker, Ingenieure oder auch Handwerker und Köche aus Ost- und Südeuropa oder Asien nach Deutschland gekommen, um hier ihr Glück zu suchen – Henkel, RWE, Telekom, Post und auch viele kleine Firmen haben tolle Talente gefunden. Gleichzeitig leben rund die Hälfte der seit 2013 als Flüchtlinge nach Deutschland gekommenen Menschen noch immer ohne Job.

Einerseits haben es mit dem Ehepaaar Uğur Şahinund Özlem Türeci Naturwissenschafter aus türkischen Migrantenfamilien geschafft, mit Biontech die erfolgreichste Unternehmensgründung Deutschlands der letzten 30 Jahre aufzubauen. Andererseits finden Jugendliche mit Migrationshintergrund deutlich schwerer eine gute Lehrstelle als ihre einheimischen Altersgenossen.  Der Staat trägt eine  Mitschuld, weil die frühkindliche Spracherziehung mangels Pflicht zum Kindergartenbesuch viel zu wenig gefördert wird, die Schulen drängen zu wenig auf gute Deutschkenntnisse.

Die Wirtschaft hat es mittlerweile zwar geschafft, dass mit Belén Garijo bei Merck erstmals eine Frau alleinige Chefin eines Dax-Konzerns ist.  Doch insgesamt ist das weibliche Geschlecht in den ersten Etagen der Unternehmen eher selten zu finden. Im Sommer hatten 103 von 186 größeren Unternehmen keine Frau im Vorstand, der durchschnittliche Anteil an Frauen lag nur bei 13,1 Prozent, ergab eine Untersuchung „Das ist immer noch deutlich zu wenig“,sagt Beraterin Voigt. „Unsere Untersuchungen zeigen, dass es Unternehmen nach vorne bringt, einen höheren Anteil an Frauen ins Top-Management zu holen. Das erweitert den Horizont, es macht Unternehmen innovativer und resilienter.“

 Was ist zu tun? Der Gesetzesgeber hat eine Frauenquote von 30 Prozent in den Aufsichtsräten großen Unternehmen festgelegt, ein kleiner Schritt, von dem aber nur eine Elite von Beraterinnen oder früheren Managerinnen profitiert.  Nun sind immerhin 36 Prozent der Aufsichtsräte bei den 106 führenden Aktiengesellschaften weiblich.

Unter internem und externem Druck setzen immer mehr Unternehmen auf Diversitätsprogramme, um gute Leute zusätzlich zu fördern. „Es ist wichtig, die Vielfalt im Unternehmen mit konkreten Vorgaben systematisch voranzubringen, reine Lippenbekenntnisse bringen wenig“,sagt BCG-Partnerin Voigt.

ThyssenKrupp fördert interne Netzwerke von Frauen, der LBGTI-Gemeinschaft oder auch von türkischstämmigen Arbeitnehmern, eine Delegation der Belegschaft nahm am Christopher Street Day in Köln teil, bis 2024 soll der Anteil von Frauen in der Führung ebenso hoch sein wie in der Gesamtbelegschaft, also bei 16 Prozent. Vom Ereichen dieses Ziels hängen auch die Vorstandsgehälter ab. Aktuell sind es nur zwölf Prozent. Dass der Essener Stahlgigant seit zwei Jahren mit Martina Merz von einer Frau geführt wird, hat ein Zeichen gesetzt. Interessanterweise handelt es sich nicht um ein absolutes Novum: Theresia Krupp führte schon 1826 eines der Vorgängerunternehmen.

Beim Versicherer Ergo existieren vergleichbare Gruppen, ergänzt noch um ein Väternetzwerk und eine Gemeinschaft der „People of Color“.  Mentoren und Mentorinnen stehen bereit, um jungen Frauen zu fördern, bis Jahr 2025 soll der Anteil von Frauen im Management von jetzt 37 Prozent auf 40 Prozent steigen. Besonders stark drücken Henkel sowie die zwei Staatskonzerne Post und Telekom bei der Diversität aufs Tempo.

Henkel hat als einziger der großen börsennotierten Konzerne Deutschlands eine weibliche Aufsichtsratschefin. Es ist seit zwölf Jahren Simone Bagel-Trah, 52-jährige Ururenkelin von Unternehmensgründer Fritz Henkel. In den sechsköpfigen Vorstand hat es bisher mit der Französin Sylvie Nicol zwar bisher nur eine Frau geschafft, aber unter den Top-Führungskräften ist immerhin jede vierte eine Frau. 

Wichtig ist den Düsseldorfern auch, dass die Mitarbeiter und  Mitarbeiterinnen sich unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung wertgeschätzt fühlen. In einem Werbetext von Henkel stellt sich ein 51-jähriger Manager der Waschmittelsparte namentlich mit Foto vor, der seine Partnerin vor elf Jahren verließ, um mit einem Mann zusammen zu sein. Nach einiger Zeit wagte der Vater eines Kindes, sich in der Firma zu offenbaren. Zur Reaktion sagt er in dem von Henkel publizierten Text : „Das war wie eine Befreiung, ich war danach viel zufriedener, hatte viel mehr positive Energie.“

Bei der Post  hat sich der Bonner Konzern das Ziel gesetzt, dass 30 Prozent der oberen und mittleren Führungskräfte weiblich sein sollen, aktuell sind es laut Angabe der Pressestelle 23,2 Prozent aus vielen  Ländern der Erde.

Die Telekom ist bei der Frauenquote im Vorstand besonders  weit, drei der acht Vorstände sind weiblich, darunter die Düsseldorferin Claudia Nemat als Technikchefin. Der künftige Chef könnte aus Indien kommen. Telekom-Chef Tim Höttges machte den 1970 geborenen Betriebswirt Srini Gopalan vor vier Jahren zum Vorstand für Osteuropa, seit einem Jahr leitet Gopalan das so wichtige Deutschland-Geschäft, früher arbeitete er rund ein Jahrzehnt in Großbritannien.

 Wer war Chef im Heimatmarkt, bevor er Primus im Vorstand wurde? Tim Höttges selbst. Wie perfekt ist Gopalan vorbereitet? Präsentationen vor Journalisten hält er in akzeptablem Deutsch, Antworten gibt er dann aber häufig in der zweiten Konzernsprache Englisch.Da Tim Höttges seinen Vertrag soeben verlängert hatte, könnte sich die Stabsübergabe noch länger hinziehen.

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