EZB senkt erneut die Zinsen "Die Zeche zahlen jetzt alle, die Geld langfristig anlegen"

Rom · Im Kampf gegen drohende Deflation macht die EZB das Geld im Euroraum so billig wie nie zuvor - zum Leidwesen der Sparer. Die Börse jubelt trotzdem: Der Dax überspringt die 10.000-Punkte-Marke. Von der massiven Kritik aus Deutschland wollte sich der Italiener Mario Draghi nicht stören lassen.

Das ist Mario Draghi
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Foto: dpa, bjw

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat trotz breiter Kritik aus Deutschland ihre Politik des billigen Geldes noch einmal verschärft: Sie senkte gestern den Leitzins von 0,25 auf nur noch 0,15 Prozent. Banken müssen erstmals eine Strafgebühr von 0,1 Prozent für Beträge bezahlen, die sie bei der EZB parken, statt sie zu verleihen. Die Notenbank pumpt 400 Milliarden Euro ins Bankensystem - erstmals mit einer Laufzeit von vier Jahren bis 2018, wie EZB-Präsident Mario Draghi in Frankfurt erklärte.

Die Vergabe dieser Notkredite sei an die Bedingung geknüpft, dass Geschäftsbanken die Mittel zumindest teilweise an Unternehmen und Privatkunden weiterreichen. Draghi begründete die Maßnahmen mit der Deflationsgefahr in der Eurozone, einer zu geringen Kreditvergabe der Banken und der insgesamt schwachen Euro-Konjunktur.

Je niedriger Zinsen, desto höher die Aktienkurse: Der Deutsche Aktienindex Dax sprang gestern nach der Ankündigung Draghis mit 10.013 Punkten erstmals über die 10.000 Punkte-Marke, ging aber bis Börsenschluss wieder leicht zurück und notierte am Ende bei 9947,83 Punkten. Börsenspezialisten rechnen mit einem weiteren Anstieg des DAX auf 11.000 Punkte bis zum Jahresende.

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Eine Deflation ist das Gegenteil der Inflation: Konsumenten und Investoren erwarten sinkende Preise und halten sich mit Ausgaben zurück. Die fehlende Nachfrage zieht erneut Preissenkungen nach sich, Erträge brechen ein, die Arbeitslosigkeit steigt. Hat die Deflation erst einmal begonnen, haben Notenbanken kaum eine Handhabe, die Spirale aus Preis- und Lohnsenkungen zu durchbrechen.

Viele Banken in Südeuropa stehen zurzeit auf unsicherem Fundament und zögern mit der Kreditvergabe an Firmen. Überall in Europa nutzten Banken die von der EZB massiv ausgeweitete Geldmenge lieber für den Kauf von Staatsanleihen.

In Deutschland, wo in diesem Jahr anders als im Rest Europas ein hohes Wirtschaftswachstum von etwa zwei Prozent zu erwarten ist, stoßen die Maßnahmen teilweise auf vehemente Kritik. Sparer würden durch die anhaltende Niedrigzinspolitik schleichend enteignet, hieß es. Das Bundesverbraucherministerium forderte die Banken auf, die Dispozinsen für ihre Kunden zu reduzieren. Die EZB begebe sich auf einen "gefährlichen Weg", erklärte der Präsident des Sparkassenverbandes, Georg Fahrenschon.

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"Statt der erhofften Impulse für die Wirtschaft in den Krisenländern werden die Sparer durch die erneute Zinssenkung in ganz Europa weiter verunsichert und Vermögenswerte zerstört." Hans-Werner Sinn, der Präsident des Wirtschaftsforschungsinstitutes Ifo, erklärte: "Die Zeche zahlen jetzt alle jene, die Geld langfristig anlegen - also die Sparer und die Besitzer von Lebensversicherungen." Ulrich Grillo, der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, bezeichnete die Zinssenkung als "Alarmsignal an die Politik".

Er erklärte: "Die Geldpolitik kann die Versäumnisse der Regierungen nicht auf Dauer ausgleichen." Die Geldpolitik habe ihre Rolle erfüllt, jetzt sei die Wirtschafts- und Finanzpolitik in Europa am Zuge. "Ich glaube nicht, dass wir momentan Angst vor Deflation haben müssen", sagte Grillo.

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