Duisburg/Essen Die Strahlkraft der Stahlindustrie

Duisburg/Essen · Thyssenkrupp blickt auf eine extrem bewegte Vergangenheit zurück. Die Umsetzung der Pläne von Konzernchef Heinrich Hiesinger, das Stahlgeschäft bis Ende 2018 in ein Joint Venture mit Tata Steel auszulagern, wäre eine Zäsur.

Wenn heute Tausende Stahlarbeiter vom Bochumer Thyssenkrupp-Werk in Richtung Colosseum ziehen, dann fühlt sich manch Ruhrgebietler an eine Zeit vor knapp 30 Jahren erinnert: Am 26. November 1987 verkündete das Krupp-Management um Vorstandschef Gerhard Cromme das Aus für das Hüttenwerk in Duisburg-Rheinhausen. Als Grund nannte es den Abbau von Überkapazitäten. Der Aufschrei der Stahlarbeiter war gewaltig und löste den hitzigsten Arbeitskampf aus, den die Republik bis dahin gesehen hatte. Mahnwachen vor dem Werkstor 1 bei sibirischen Temperaturen, eine Menschenkette quer durchs Ruhrgebiet, die spektakuläre Besetzung einer Autobahnbrücke und nicht zuletzt die Erstürmung der Essener Villa Hügel, dem ehemaligen Anwesen der Krupp-Dynastie. Erst nach 160 Tagen gaben die Protestler auf. Das Aus des Krupp-Hüttenwerks konnten sie nicht verhindern.

Dass es morgen und in den kommenden Wochen zu vergleichbaren Szenen kommen könnte, muss Thyssenkrupp-Chef Heinrich Hiesinger nicht fürchten, auch wenn seine Entscheidung, das Stahlgeschäft mit dem des indischen Konkurrenten Tata Steel zusammenzulegen, eine der größten Zäsuren in der bewegten Geschichte des Konzerns darstellt. Stahl, so ist das Credo der Belegschaft, gehört nun mal zum Konzern dazu.

Günter Back, Gesamtbetriebsratsvorsitzender der Stahl-Sparte, brachte es bei einer Betriebsräte-Konferenz in Duisburg im August vergangenen Jahres auf die Formel: "Wenn Herrn Hiesinger nichts anderes einfällt, als dauernd den Stahl aus dem Konzern herausreden zu wollen, und er es immer im Vagen hält, ob Stahl jetzt zum Konzern gehört oder nicht, dann kann das nicht mehr unser Mann sein."

Bei der Veranstaltung hielten Beschäftigte bereits Schilder mit dem Konterfei von Berthold Beitz in die Höhe, jenes Industriellen, der vom letzten Mitglied der Krupp-Familie zum Generalbevollmächtigten ernannt wurde und über Jahrzehnte die Krupp-Geschicke bestimmt hatte. Neben dem Konterfei des Verstorbenen stand die Frage: "Wie geht Ihr mit meinem Erbe um?"

Traurige Pointe nur: Beitz selbst war nie ein Fan des Stahls. Zu konjunkturabhängig erschien ihm das Geschäft mit dem Werkstoff. Er träumte eher von einem Technologie-Konzern, wie er jetzt eben auch von Heinrich Hiesinger vorangetrieben wird. Was Beitz allerdings bremste, war seine Loyalität dem Mann gegenüber, der ihn einst ins Unternehmen geholt hatte: Alfried Krupp von Bohlen und Halbach (1907 - 1967).

Der Spross aus dem Stamm der "Kanonenkönige" war der letzte Konzernlenker der berühmt, berüchtigten Familiendynastie, die seit 1811 als Unternehmer in Erscheinung getreten waren. Der Aufstieg begann jedoch erst mit Alfred Krupp (1812 - 1887), der die Fehler seines gescheiterten Vaters ausbügeln wollte und mit harter Hand aus einem kleinen Stahlbetrieb ein Imperium schmiedete.

Sohn Alfred Friedrich ("Fritz") Krupp (1854 - 1902) führte es konsequent fort. Unter Fritz' Führung entstand auch das Firmenlogo, die drei ineinander verschlungenen Kreise, die die nahtlosen Stahlräder darstellen sollen, denen Krupp maßgeblich seinen Erfolg verdankt. Noch mehr trugen in den folgenden Jahren allerdings Fritz Krupps exzellente Kontakte zum kriegslustigen Kaiser Wilhelm II. bei. Dessen Aufrüstungspläne sorgten dafür, dass aus Krupp ein nahezu reiner Rüstungs-Konzern wurde - und blieb. Denn Schwiegersohn Gustav Krupp von Bohlen und Halbach (1870 - 1950) sowie sein Sohn Alfried verließen diesen Weg nicht und machten sich so zu Erfüllungsgehilfen für Hitlers Welteroberungsfantasien. Auch vor dem Einsatz von Zwangsarbeitern schreckten sie nicht zurück, was Alfried Krupp nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine zwölfjährige Haftstrafe wegen "Plünderung" und "Sklavenarbeit" einbrachte.

Als er sich nach deren Verbüßung daran machte, den Konzern wieder aufzubauen, entschied er sich gegen Rüstungsprodukte. Dem Stahl blieb er treu. Beitz tat es ihm nach - auch in schwierigen Zeiten. Denn infolge der Erdölkrise der 70er-Jahre geriet die Stahlbranche in einen Abwärtsstrudel. Gigantische Überkapazitäten traten zutage und ließen die Preise abrutschen. Eine Konsolidierung, wie sie heute auch Hiesinger fordert, schien unausweichlich.

Doch Stolz bestimmte die Welt der Stahlbarone. Eine Aufgabe von Zuständigkeiten erschien so manchem Konzernlenker als undenkbar. Es bedurfte erst eines "jungen Wilden" von außen, den Beitz an Bord geholt hatte, um eine Konsolidierung der Branche anzustoßen: Gerhard Cromme war es, der Anfang der 90er-Jahre die erste feindliche Übernahme der Republik über die Bühne brachte. Krupp, zu diesem Zeitpunkt hoch verschuldet, hatte mit seinen Banken im Rücken still und heimlich in großem Stil Anteile des Dortmunder Konkurrenten Hoesch aufgekauft. Fünf Jahre später versuchte Cromme, dieses Kunststück bei Thyssen zu wiederholen. Doch die Vorbereitungen wurden zu früh publik. Am Ende mussten Beitz und der frühere Krupp-Vorstandschef und damalige Ehrenvorsitzende des Thyssen-Aufsichtsrats, Günter Vogelsang, eingreifen und aus der feindlichen Übernahme eine friedliche Fusion machen. Im Oktober 1998 wurde der Zusammenschluss zu Thyssenkrupp vollzogen - ein Großkonzern mit 70 Milliarden Mark Umsatz und 173.000 Mitarbeitern.

Das Geschäft mit dem Stahl ist seitdem nicht einfacher geworden. Im Gegenteil. Als Folge der globalisierten Märkte sind die Konjunkturzyklen kürzer und die Ausschläge heftiger geworden. Der Aufstieg Chinas zu einer kapitalistischen Großmacht führte zunächst zu Goldgräberstimmung in der Branche. Denn die Chinesen gierten nach Stahl. Auch bei Thyssenkrupp glaubte das Management unter dem neuen Vorstandschef Ekkehard Schulz an einen anhaltenden weltweiten Boom. Profitieren wollte man mit günstig hergestelltem Stahl aus Brasilien, der in einem neuen Walzwerk im US-Staat Alabama weiterverarbeitet werden sollte. Doch dann jagte eine Hiobsbotschaft die nächste: explodierende Kosten, Verzögerung beim Bau, anziehende Löhne, sowie ein Einbruch der Stahlnachfrage im Zuge der Weltwirtschaftskrise. Insgesamt verbrannte der Konzern acht Milliarden Euro mit Steel Americas.

Zudem drehte sich der Wind aus Asien. Die Chinesen waren dank moderner Stahlwerke plötzlich in der Lage, ihren Hunger nach Stahl mit staatlich subventionierten Brammen selbst zu stillen. Und nicht nur das. Die Überkapazitäten schwappen seitdem auf den Weltmarkt. Das weiß auch die Belegschaft und betreibt zwar nach außen hin immer noch Widerstand, wird auf Dauer aber kooperieren. Das geplante Joint Venture mit dem Europa-Geschäft von Tata Steel könnte am Ende den kompletten Rückzug vom Stahlgeschäft für den Thyssenkrupp-Konzern bedeuten.

(maxi)
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