Serie "Digitale Revolution" Die neue industrielle Revolution

Düsseldorf · Das Netz ändert Alltag und Produktion. Maschinen ersetzen nicht nur Muskeln, sondern das Denken. Keine Branche kann entkommen.

Was alle 60 Sekunden im Internet passiert
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Foto: afp, JOHN MACDOUGALL

Manchmal können auch Nobelpreisträger irren: "Das Internet wird nicht mehr Einfluss auf die Wirtschaft haben als das Faxgerät", hatte der Ökonom Paul Krugman 1998 gesagt. Gründlicher ging eine Prognose nie daneben. Früher shoppte man in der Stadt, heute füllt man den Warenkorb per Mausklick. Früher gab es Platten, heute lädt man aus dem iTunes-Store. Früher ersetzten Maschinen nur Muskelkraft, künftig ersetzen sie das Denken. Die digitale Revolution verändert Konsum und Produktion so radikal wie einst die Dampfmaschine. Wirtschaftshistoriker sprechen schon jetzt von einer neuen industriellen Revolution. Die wollen wir in einer neuen Serie beleuchten.

Der russische Ökonom Nikolai Kondratieff formulierte 1926 die Theorie, dass alle 50 Jahre eine fundamentale technologische Innovation stattfindet, die alles verändert. Die Dampfmaschine (1769) führte zum Übergang vom Agrar- zum Industriezeitalter. Die Eisenbahn (1825) senkte die Transportkosten und verteilte die Fabriken über das Land. Die Chemie machte Menschen bei Kleidung, Medizin, Baumaterial unabhängiger von natürlichen Rohstoffen. Die Fließbandproduktion des Autos (1913) führt zur Massenmobilisierung. Computer und Internet gelten als Auslöser des fünften Kondratieff-Zyklus'. Zwar brachte IBM den PC schon 1981 auf den Markt, der erste Internet-Provider startete 1990. Doch erst jetzt entfaltet die Digitalisierung ihre Macht. "Wir stehen am Anfang", sagt Walter Sinn, Chef der Beratungsgesellschaft Bain. "Noch hat die Digitalisierung nur wenige Branchen wie die Telekommunikation mit voller Wucht erfasst. Aber in zehn Jahren wird die Welt ganz anders aussehen", so Sinn. Die Kennzeichen der neuen Welt:

Das Internet der Dinge revolutioniert den Alltag

Es war am 8. Juli nur eine kleine Meldung: Die Konzerne Dell (Computer), Intel (Chip) und Samsung (Smartphone) wollen gemeinsam einen Standard zur Vernetzung von Geräten entwickeln. Das bedeutet Schub für das "Internet der Dinge", über das Hausgeräte, Autos, Handys Informationen austauschen. Bis 2020 sollen weltweit 50 Milliarden Geräte verbunden sein. Der Kühlschrank ordert neue Butter. Die Heizung wird per Handy angestellt. Die Toilette misst per Urintest, ob der Nutzer gesund ist und vereinbart gleich einen Termin beim Arzt. So sieht die Welt im Smart Home aus, in dem alle Geräte unabhängig vom Nutzer kommunizieren. Davon hatte der US-Informatiker Mark Weiser schon 1991 geträumt, als er im Aufsatz "Der Computer des 21. Jahrhunderts" erstmals das Internet der Dinge beschrieb: "Die wichtigsten Technolgien sind die, die im Alltag aufgehen."

Industrie 4.0 - wenn Maschinen Maschinen steuern

Die Digitalisierung trifft nicht nur privaten Konsum, sondern auch Fabriken. Erst ersetzten Maschinen Muskelkraft, aber es waren weiter Menschen, die die Maschinen steuerten. Dank intelligenter Werkzeuge ändert sich das, zunehmend steuern Maschinen nun Maschinen. "In der Fabrik 4.0 denkt das Produkt mit", sagt Karl Lichtblau vom Institut der deutschen Wirtschaft. Per Roboter fährt es von Produktionsstation zu Produktionsstation. Es kümmert sich um Nachschub, wenn das Lager leer wird. Es bestellt den Spediteur, wenn es fertig ist.

40 Prozent der deutschen Betriebe fürchten, dass ihr Geschäftsmodell wegen der Digitalisierung nicht wettbewerbsfähig bleiben wird, wie jüngst eine Umfrage der Beratungsgesellschaft KPMG ergeben hat. Vielen Vorständen ist das bewusst. Doch 80 Prozent sagen, dass sie bei der Anpassung des Geschäftsmodells erst am Anfang stehen.

3D-Drucker revolutionieren das Handwerk

Zunächst galten Drucker, die nicht nur Papier bedrucken, sondern auch dreidimensionale Werkstücke herstellen können, als schlichte Weiterentwicklung. Heute ist klar, dass sie eine Zäsur bedeuten. Das Fließband machte einst die Massenproduktion möglich, 3-D-Drucker wirken in die andere Richtung: Ihr Ziel ist die günstige Herstellung von Einzelstücken. Von der Manufaktur des 19. Jahrhunderts zur Fabrik des 20. geht es im 21. Jahrhundert zur elektronischen Manufaktur. Zahntechnikern etwa bricht so das Geschäftsmodell weg: Einmal gibt der Zahnarzt noch die Maße des maroden Backenzahns ein, von da an kann der 3-Drucker die gleiche Krone immer wieder herstellen. Ähnliches ist für maßgefertigte Kleidung, Schuhe und auch Produktionsteile denkbar.

Die große Frage ist, welche deutsche Unternehmen zu den Gewinnern der Revolution gehören und welche untergehen. Der frühere SAP-Chef Henning Kagermann warnt: Deutsche Kernbranchen müssten aufpassen, dass sie nicht zu austauschbaren Zulieferern der US-Giganten wie Google werden.

(RP)
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