"Die Kanzlerin lässt uns im Stich"

interview Heute treffen sich 600 ThyssenKrupp-Betriebsräte zur Vollversammlung in Essen. Thomas Schlenz, Chef des Konzernbetriebsrates und zweiter Mann im Aufsichtsrat, will der Belegschaft in schweren Zeiten Mut machen. Er fürchtet weitere Verkäufe. Und die immer schärferen Umweltauflagen, mit der die Politik die Industrie ins Ausland treibt.

interview Heute treffen sich 600 ThyssenKrupp-Betriebsräte zur Vollversammlung in Essen. Thomas Schlenz, Chef des Konzernbetriebsrates und zweiter Mann im Aufsichtsrat, will der Belegschaft in schweren Zeiten Mut machen. Er fürchtet weitere Verkäufe. Und die immer schärferen Umweltauflagen, mit der die Politik die Industrie ins Ausland treibt.

Der neue ThyssenKrupp-Chef Heinrich Hiesinger hält heute seine erste Rede. Was für ein Mensch tritt da ans Rednerpult?

Schlenz Hiesinger spricht heute vor der Vollversammlung des ThyssenKrupp-Betriebsrates. Neuer Chef, neue Konzernzentrale, erster öffentlicher Auftritt: Die Regie hat alles richtig gemacht (lacht). Ich habe Hiesinger als klar, analytisch, entscheidungsfreudig und offen kennengelernt. Er begegnet den Mitarbeitern nicht von oben herab. Allerdings muss die Zusammenarbeit jetzt halten, was der erste Eindruck verspricht.

Hiesinger will dem Konzern einen eisernen Sparkurs verordnen . . .

Schlenz Bei über fünf Milliarden Euro Schulden und fast 600 Millionen Euro Kapitaldienst pro Jahr hat er ja keine andere Chance. Aber das kann man nur ein oder zwei Jahre machen, sonst wird ThyssenKrupp erdrosselt.

Das heißt: Die Technologie-Sparte, die jahrelang im Schatten der Stahl-Sparte stand, muss sich immer noch gedulden?

Schlenz Früher war ThyssenKrupp ein Stahlkonzern mit starker Technologie-Sparte, die auch in der Krise viel Geld etwa mit Anlagenbau, Aufzügen, Automobilzulieferungen und U-Booten verdient hat. Nachdem der Stahl rund zehn Milliarden Euro für sein Wachstum bekommen hat, will Hiesinger nach eigener Aussage auch für Wachstum in der Technologiesparte sorgen. Am Ende soll ein Technologiekonzern mit starker Stahlsparte stehen.

Wer soll die Investitionen für die Technologie-Sparte stemmen?

Schlenz Hiesinger hat derzeit nicht genug Geld, um alle mit Investitionskapital zu versorgen. Aus diesem Grund musste sein Vorgänger Schulz schon den Industrie-Dienstleister TKIN verkaufen. Auch die Metall-Umformung und die Xervon Gruppe mit jeweils Tausenden von Mitarbeitern stehen auf der Verkaufsliste. Als Chef des Betriebsrates habe ich Sorge, dass noch mehr verkauft werden muss. Aber die Investitionen in die neuen Stahlwerke in Brasilien und Alabama waren ja nicht gänzlich falsch. 2013 werden, so hoffe ich, im geplanten Dreiecksverbund Brasilien, Alabama und Deutschland die Werke profitabel sein und Geld verdienen, mit dem dann auch Technologies wachsen kann.

Das ist viel später, als geplant.

Schlenz Die Anfangsschwierigkeiten in Brasilien sind größer als gedacht. Die neue Kokerei dort läuft nicht gut. Es war ein Fehler, sie nicht bei unserer Tochter ThyssenKrupp Uhde zu kaufen, sondern in China. Eine Uhde-Kokerei hätte zwar 70 Millionen Euro mehr gekostet, aber wenigstens von Anfang an funktioniert. Trotzdem werden wir am Ende mit unseren Stahl-Standorten in Brasilien, Alabama und Duisburg hervorragend aufgestellt sein.

Duisburg leidet unter hohen Strompreisen. Jetzt will NRW-Umweltminister Remmel die Industrie mit einem neuen CO2-Gesetz noch stärker in die Pflicht nehmen. Geht das gut?

Schlenz Solche Alleingänge sind problematisch. Wir sind auch umwelttechnisch auf dem neuesten Stand. Meine Sorge ist, dass die energieintensiven Industrien systematisch ins Ausland gedrängt werden, wo man es mit dem Umweltschutz weniger genau nimmt. Das betrifft nicht nur die Stahlindustrie, sondern auch Aluminium, Zement und Kupfer. Diesen Fehler macht auch die EU. Der neueste EU-Beschluss zum CO2 kostet uns pro Jahr 40 Millionen Euro zusätzlich. Da hat uns die deutsche Politik im Stich gelassen. Einschließlich der Kanzlerin.

Thomas Reisener führte das Gespräch

(RP)
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