Frankfurt Die IG Metall spricht wieder schwäbisch

Frankfurt · Heute wählt die IG Metall Jörg Hofmann zum Vorsitzenden. Der 59-Jährige gilt als detailverliebt, aber lösungsorientiert. Seine größten Herausforderungen: die VW-Krise, die Industrie 4.0 und die Werbung neuer Mitglieder.

Er verschwindet fast hinter dem wuchtigen Rednerpult in der Frankfurter Messehalle. Nein, ein Hüne ist Jörg Hofmann, Zweiter Vorsitzender der IG Metall, wahrlich nicht. Nimmt man sein schüchtern anmutendes, freundliches Wesen und den starken süddeutschen Dialekt hinzu, wird klar: Ein klassischer, rauflustiger Arbeiterführer ist der 59-Jährige nicht. Doch es wäre ein Fehler, ihn nicht auf der Rechnung zu haben. Nicht zuletzt wegen seiner neuen Rolle: Hofmann wird heute Mittag beim 23. Ordentlichen Gewerkschaftstag zum mächtigsten Mann innerhalb der größten Einzelgewerkschaft der Welt aufsteigen.

Zwei Jahre lang hatte er sich mit der Rolle der Nummer zwei und damit des Kronprinzen der IG Metall begnügen müssen. Schließlich hatte die Gewerkschaft 2013 nach dem vorzeitigen Abtritt von Berthold Huber entschieden, zunächst die Karriere des Siegeners Detlef Wetzel mit dem Vorsitz zu krönen. Der hatte den Mitgliederschwund bei der IG Metall gestoppt.

Doch Wetzels zwei Jahre sind heute um, und nun schlägt die Stunde des Mannes aus dem Ländle. Zehn Jahre stand er an der Spitze des neben NRW wohl einflussreichsten IG-Metall-Bezirks: Porsche und Daimler, Heidelberger Druck und Bosch fallen in seinen Wirkungsbereich, hinzukommen unzählige Zulieferbetriebe. 420.000 Mitglieder zählt der Bezirk Südwest. Sein Können hat Hofmann mehrfach demonstriert und Pilotabschlüsse erzielt, die später in den übrigen Bezirken übernommen wurden. Auch das von Gewerkschaftern immer ehrfurchtsvoll angeführte "Pforzheimer Abkommen", das Abweichungen vom Flächentarifvertrag in der Metall- und Elektroindustrie erlaubt, hat er 2004 maßgeblich mitgestaltet und durchgesetzt. Ebenso trägt das Entgeltrahmen-Abkommen, eine der größten Reformen des Metall- und Elektro-Tarifsystems, seine Handschrift.

Die vordergründige Stärke des Ökonomen, der vor seinem Studium zwei Jahre lang in einem landwirtschaftlichen Betrieb arbeitete, ist zugleich auch seine Schwäche: Gesprächspartner kritisieren, dass sich Hofmann schon einmal in den Details des für Ungeübte nur schwer zu durchschauende Tarifdickichts verliert. Bei einem Politiker würde man von einem Aktenfresser reden. In durchaus herausfordernden Nachtsitzungen kann diese Detailverliebtheit die Gegenseite schon mal zur Weißglut bringen. Trotzdem gilt Hofmann nicht als ideologischer Sturkopf. So hatte Oliver Zander, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, jüngst im Interview mit unserer Redaktion gesagt, der neue IG-Metall-Chef werde versuchen, wichtige Themen anzupacken und zu Lösungen zu gelangen - etwa bei den Fragen nach den Folgen der voranschreitenden Digitalisierung. "Hoffentlich, ohne in die alten Schützengräben zu geraten."

Neben den Auseinandersetzungen mit den Arbeitgebern in Tariffragen kommen auf Hofmann weitere, nicht weniger komplexe Aufgaben zu - etwa der Umgang mit der VW-Krise. Denn es gilt als ausgemacht, dass Hofmann seinen Mentor Berthold Huber dort im Aufsichtsrat beerbt. Hubers Leitmotto, "Unsere Zukunft liegt in den Betrieben, nicht auf der Straße", hat sich der VfB-Stuttgart-Fan Hofmann übrigens abgewandelt zu eigen gemacht: "Die Tore werden im Betrieb geschossen", pflegt Hofmann zu sagen. Diese Konzentration auf die Mitglieder - insbesondere auf die neuen - wird wohl eine der schwierigsten organisationspolitischen Herausforderungen für Hofmann werden. Denn das Potenzial in den klassischen Berufsfeldern ist begrenzt. Die IG Metall schaut sich deshalb zunehmend in fremden Gärten um, wirbt etwa bei den Beschäftigten der industrienahen Dienstleistungen, bei Logistikern oder Ingenieuren. Sie argumentiert mit der Wertschöpfungskette. Denke man das konsequent zu Ende, müsste die IG Metall demnächst den Kautschuk-Bauern für den Autoreifen oder den Viehzüchter für die Lederbezüge vertreten, heißt es etwas bissig aus Arbeitgeberkreisen. Ein Feld mit reichlich Konfliktpotenzial. Doch dass es mit einem IG-Metall-Chef Hofmann zum Spaziergang würde, daran glaubt wohl niemand. So prophezeit Südwestmetall-Geschäftsführer Peer-Michael Dick: "Das wird deutlich ungemütlicher."

(maxi)
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