Isabel Schnabel im Interview „Ich warne davor, Herrn Draghi zu verteufeln“

Bonn · Die Wirtschaftsweise und Bonner Ökonomieprofessorin fordert die völlige Abschaffung des Solidaritätsbeitrags und warnt vor Eingriffen des Staates in der Industrie und bei den Banken.

 Die Wirtschaftsweise Isabel Schnabel. (Archiv)

Die Wirtschaftsweise Isabel Schnabel. (Archiv)

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Das Arbeitszimmer der Wirtschaftsweisen Isabel Schnabel im verschachtelten Juridicum der Bonner Universität ist nicht leicht zu finden. Unter den Jura-Studenten ist die renommierte Wirtschaftsprofessorin gänzlich unbekannt. Auch ihr Arbeitszimmer ist sehr funktional eingerichtet – nur die liebevollen Zeichnungen ihrer Kinder „an die beste Mama“ verraten etwas über die Persönlichkeit der Wirtschaftsexpertin. „Da schaue ich immer drauf, wenn mit die Arbeit über den Kopf wächst.“

Schwache Konjunktur, Brexit-Chaos, globale Handelskriege – müssen wir uns nach den fetten auf sieben magere Jahre einstellen?

Schnabel Wir hatten in der Vergangenheit einige sehr gute Jahre. Ganz so gut wird es wohl nicht bleiben. Aber es gibt keine Anzeichen dafür, dass wir auf eine Rezession zulaufen. Im ersten Quartal ist die Wirtschaft des Euroraums mit 0,4 % ganz ordentlich gewachsen.

Also ganz gelassen bleiben?

Schnabel Nein, das nicht. Die Risiken sind gestiegen, die Gefahr einer Rezession ist da.

Welches ist aus Ihrer Sicht das größte Risiko – Brexit, Trump oder China?

Schnabel Die größte Gefahr besteht darin, dass sich die Risiken kumulieren. Es ist geradezu das Merkmal einer Krise, dass verschiedene Probleme gleichzeitig auftreten.

Hinzu kommt das Risiko durch die Schieflage Italiens. Was wäre, wenn das Land seine Schulden nicht mehr bezahlen könnte? Das Ende des Euros?

Schnabel Ich halte ein solches Szenario für eher unwahrscheinlich. Aber die Folgen wären in der Tat dramatisch: Eine Zahlungsunfähigkeit der viertgrößten europäischen Volkswirtschaft würde Europa in eine neue Krise stürzen. Das wäre für den Euro eine schwere Belastungsprobe. Es könnte passieren, dass Italien aus dem Euro austritt – übrigens vermutlich zum Schaden des Landes. Aber auch die anderen Euro-Staaten wären betroffen. Wenn man bedenkt, dass bereits die Staatsschuldenkrise des vergleichsweise kleinen Griechenlands die Finanzmärkte in Europa erschütterte, dann kann man begreifen, wie groß die Gefahr durch Italien ist.

Kann man einem Land helfen, das andauernd die Regeln bricht – bei der Rettung der eigenen Banken und bei den Haushaltsvorgaben?

Schnabel Bei den Banken muss ich Ihnen widersprechen. Italien hat bei den Rettungen nicht die Regeln gebrochen. Italien hat die Schlupflöcher der Regeln ausgenützt. Diese kamen übrigens zum Teil auf Betreiben der deutschen Seite ins Regelwerk und wirken sich nun als Schwäche aus. Und wir sollten nicht vergessen: Auch in Deutschland wird ja mit der NordLB erneut eine Bank gerettet.

Was würde denn konkret passieren, wenn Italien finanziell in die Knie geht?

Schnabel Die Lage ist deshalb so vertrackt, weil die Staatsschulden in Italien so hoch sind. Zugleich sind Staat und Banken eng verflochten. Rutscht das Land in eine schwere Rezession, kommt das Thema der notleidenden Kredite der Banken wieder nach oben. Will der Staat nun als Retter eingreifen, kommt er selbst wegen seiner angespannten Finanzen in Nöte. Die Banken halten wiederum große Mengen italienischer Staatsanleihen, die dann an Wert verlieren. So schließt sich der Teufelskreis. Diese Problematik haben wir im Euroraum nicht gelöst.

Also bleibt nur die Europäische Zentralbank, die EZB, als möglicher Retter übrig. Muss der Italiener Mario Draghi, der ja EZB-Chef ist, seinem Land mit einer weiterhin lockeren Geldpolitik aus der Patsche helfen?

Schnabel Ich warne davor, Herrn Draghi zu verteufeln, wie das hierzulande gerne geschieht. Wichtig ist: Die EZB hat sich immer im Rahmen ihres Mandats bewegt. Eine lockere Geldpolitik zur Stützung Italiens ist gar nicht zulässig. Aber es gibt in der EU wirksame Mechanismen, um einen finanziellen Zusammenbruch zu verhindern. Dazu gehört der Stabilitätsfonds ESM, der notleidenden Ländern Kredite geben kann, ebenso wie das OMT-Programm der EZB, bei dem die Europäische Zentralbank im Krisenfall Staatsanleihen aufkaufen kann.

Dazu muss das Land aber Anpassungsprogramme vornehmen.

Schnabel Richtig. Und da liegt das Problem. Denn Italien ist in der jetzigen politischen Konstellation mit seiner Regierung aus Links- und Rechtspopulisten dazu nicht bereit. Aber der Ausfall der Staatsschulden ist keine besonders attraktive Option für die Regierung, weil die Anleihen zu einem großen Teil von den eigenen Bürgern gehalten werden. Deshalb glaube ich, dass sich die Regierung am Ende doch bewegen würde.

Trotzdem ist die Geldpolitik der EZB mit ihren Null- und Minuszinsen nicht gerade attraktiv für Sparer?

Schnabel Die EZB hat in der Finanzkrise vieles richtig gemacht. Ohne die Zusicherung, Staatsanleihen notfalls unbegrenzt aufzukaufen, wäre der Euro wohl gescheitert. Aber die EZB hätte bei den massiven Anleihekäufen, die auf die Krise dann folgten, früher auf die Bremse treten sollen. Diese bergen zudem Gefahren für die Stabilität der Finanzmärkte.

Kann die EZB jetzt im Abschwung auf die Bremse treten?

Schnabel Eher nicht. Das ist das derzeitige Dilemma der Geldpolitik, für das es keine leichte Lösung gibt.

Hat die EZB also ihr Pulver verschossen?

Schnabel Die Geldpolitik ist bereits jetzt sehr expansiv. Aber die Zentralbank kann immer noch mehr machen – tiefere Negativzinsen, das Anleihekauf-Programm ausweiten, den Schlüssel für die einzelnen Länderanleihen verändern, also mehr italienische und weniger deutsche Staatspapiere kaufen. Aber das wäre politisch hochumstritten. Die Unabhängigkeit der EZB könnte in Gefahr geraten.

Der Staat könnte endlich mehr investieren, um die Konjunkturabkühlung zu stoppen. Sollten wir die Schuldenbremse abschaffen?

Schnabel Nein, ich halte eine Disziplinierung der Politik durch die Schuldenbremse grundsätzlich für richtig, selbst wenn man über die konkrete Ausgestaltung reden kann. Die Schuldenbremse wird derzeit kritisiert, weil sie die Investitionen hemmen würde. Mehr Investitionen sind aber auch mit Schuldenbremse möglich: Der Staat hätte in den vergangenen Jahren den Spielraum gehabt, mehr in Bildung und Infrastruktur zu investieren. Doch leider hat die Politik das Geld lieber für Sozialausgaben verwendet, zum Beispiel im Bereich der Rente.

Dann wären auch Steuersenkungen schwierig. Wo wäre eine steuerliche Entlastung dennoch sinnvoll?

Schnabel Der Staat sollte den Solidaritätszuschlag vollständig abschaffen, das würde Bürger und Unternehmen entlasten. Zudem sollte er die Forschungsaktivitäten von Unternehmen steuerlich fördern, um zu verhindern, dass innovative Unternehmen abwandern.

Ein großes Ärgernis ist, dass sich amerikanische Digitalkonzerne der Besteuerung entziehen. Was tun?

Schnabel Die EU-Kommission hat vorgeschlagen, die Umsätze digitaler Unternehmen zu besteuern. Davon halte ich nichts. Dies könnte als protektionistische Maßnahme gewertet werden, die den Handelskrieg mit den USA weiter anfacht. Auch die Definition einer digitalen Betriebsstätte sehe ich kritisch. Besser ist es, eine globale Regelung zu finden.

Wirtschaftsminister Altmaier setzt gegen die Übermacht von US-Konzernen seine Industriestrategie. Brauchen wir nationale Champions?

Schnabel Altmaiers Strategie krankt an mehreren Stellen: Sie vernachlässigt den Mittelstand, ist zu wenig europäisch und zu planwirtschaftlich. Der Staat sollte keine einzelnen Unternehmen fördern und ihnen keine Bestandsgarantie geben – Unternehmen werden stark im Wettbewerb. Der Staat sollte lieber die Bedingungen für Wettbewerb und Wachstum verbessern, zum Beispiel durch eine konsequente Innovationspolitik.

Der Finanzminister hatte für eine Fusion von Deutscher und Commerzbank geworben. Sind Sie froh, dass die Fusion abgeblasen wurde?

Schnabel Oh ja, die Bankenfusion war gar keine gute Idee. Sie hätte das Systemrisiko im Finanzsektor weiter erhöht. Schon jetzt ist die Deutsche Bank so groß und komplex, dass im Fall einer Krise eine mögliche Abwicklung schwierig wäre und sie gegebenenfalls vom Staat gerettet werden müsste. Angesichts ihrer Größe halte ich generell eine Fusion bei der Deutschen Bank nicht für sinnvoll.

Die Gewerkschaften sind auch begeistert vom Aus der Fusion …

Schnabel Das verstehe ich, aber die Arbeitnehmer sollten sich keinen Illusionen hingeben: Auch ohne Fusion werden in beiden Banken Stellen wegfallen. Commerzbank und Deutsche Bank müssen ihre Kosten senken, um wieder wettbewerbsfähig zu werden.

Was die Deutsche Bank im Finanzgeschäft ist, ist Bayer in der Chemie. Machen Sie sich Sorgen um den Konzern?

Schnabel Mir macht Sorgen, dass derzeit so viele Dax-Konzerne große Probleme haben – mögen die Gründe auch individuell verschieden sein. Der Kauf von Monsanto könnte sich als schwerer strategischer Fehler von Bayer erweisen, der Marktwert des Konzerns hat sich bereits drastisch verringert. Damit wächst die Gefahr einer Übernahme.

Im Fokus steht die deutsche Industrie auch wegen des Klimawandels. Brauchen wir eine CO2-Steuer, die alle Emittenten zahlen müssen – Industrie, Autofahrer, Flugpassagiere?

Schnabel Wir haben mit dem europäischen Zertifikatehandel (ETS) bereits ein gutes System: Wer viel CO2 emittiert, muss hierfür Emissionsrechte kaufen. Das Problem: Das System umfasst vor allem den Industrie- und Energiesektor, Verkehr und Wärme bleiben außen vor. Das Ziel sollte es hingegen sein, alle Sektoren einzubeziehen. Der CO2-Ausstoß bekäme einen einheitlichen Preis. Da Umweltverschmutzung nicht an den Grenzen halt macht, ist es wichtig, dass möglichst viele Länder dabei mitmachen.

Was muss in den Städten geschehen?

Schnabel Ich plädiere für eine Städtemaut, um gegen die lokale Verschmutzung vorzugehen und Bürger zu umweltfreundlichem Verhalten anzureizen. Zugleich müssten die Kommunen die Einnahmen nutzen, um in Alternativen zum Auto zu investieren – wie den Ausbau von Radwegen, von Bus und Bahn.

Wie sieht es mit Ihrer Klimabilanz aus - und fehlen freitags auch bei Ihnen Studenten?

Schnabel (lacht) Ich habe freitags keine Vorlesungen. Zum Glück wohnen wir so nah an der Uni Bonn, dass ich zu Fuß zur Arbeit gehen kann.

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