Mönchengladbach Die Bierbranche in der Dauerkrise

Mönchengladbach · Das Kartellamt ermittelt gegen die Korschenbroicher Brauerei Bolten. Sie soll am größten Kartell der deutschen Biergeschichte beteiligt gewesen sein. Der sinkende Konsum und steigende Kosten bringen die Branche in Not.

Im Zusammenhang mit dem mutmaßlich größten Bier-Kartell in der Geschichte der deutschen Branche wird auch gegen die Korschenbroicher Privatbrauerei Bolten ermittelt. Das bestätigte Bolten-Chef Michael Hollmann gestern auf Anfrage. "Wir haben einen Brief vom Kartellamt bekommen", sagte Hollmann. Ein Sprecher des Kartellamtes sagte, die Behörde ermittele inzwischen gegen 14 Unternehmen und einen Brauereiverband. Neben den meist überregionalen Anbietern sogenannter "Fernsehbiere" werde auch gegen eine kleinere Brauerei aus NRW ermittelt.

Sie sollen zusammen einen Marktanteil von 50 Prozent kontrollieren und unter anderem die Preise für 24 Premiummarken abgesprochen haben. Neben der Warsteiner und der Krombacher Brauerei, die entsprechende Untersuchungen einräumen, sollen auch die internationalen Brauerei-Gruppen Carlsberg (Holsten) und Anheuser-Busch InBev (Becks) zu den Beschuldigten gehören. Die Ermittlungen sollen laut Kartellamt im Sommer abgeschlossen sein.

Hollmann war von 2001 bis 2004 Vorstandschef von Brau und Brunnen. Nach seinem Ausscheiden bei dem einst größten deutschen Getränkekonzern übernahm er 2005 mit Bolten die nach eigenen Angaben älteste deutsche Altbierbrauerei. Zugleich ist der 55-jährige Vizepräsident des Deutschen Brauer-Bundes (DBB) und stellvertretender Vorsitzender beim Verband Rheinisch-Westfälischer Brauereien.

Das Kartellamt untersucht auch die Rolle der Verbände bei dem mutmaßlichen Kartell. Einem Bericht des Nachrichtenmagazins "Fokus" zufolge soll Hollmann bei einem angeblichen Preisabsprache-Treffen die Schriftführer mit den Worten "das ist nichts fürs Kartellamt" zur Manipulation des Sitzungsprotokolls aufgefordert haben. Hollmann streitet das ab. Weder als Inhaber noch als Funktionär sei er je an wettbewerbswidrigen Absprachen beteiligt gewesen: "Es gab keine Preisabsprachen. Und ich habe auch noch nie erlebt, dass in der Bierbranche Preise abgesprochen werden", so der gelernte Jurist. Er habe auch "keinen Einfluss auf das Protokoll" gehabt. Dass er als Brauer und Funktionär gleich zweimal im Fokus der Kartellbehörden steht, erklärt Hollmann so: "Wenn gegen den Mann ermittelt wird, dann immer auch gegen die Brauerei. Das ist Routine."

Einige Marktbeobachter bezweifeln, dass es unter deutschen Bierbrauern ein Kartell gab. Mit durchschnittlichen Preisen von zehn bis zwölf Euro pro Kasten ist Premiumbier fast nirgends in Europa günstiger als hier. Das Kartell wäre also nicht nur das größte der Brauereigeschichte, sondern auch eines der erfolglosesten gewesen. Andererseits könnte gerade ihre desolate Lage die Branche zu einem solchen Kartell motiviert haben. 1976 tranken die Deutschen noch 151 Liter Bier pro Kopf, im vergangenen Jahr nur noch 106 Liter. Inflationsbereinigt sinken die Verkaufspreise seit Jahren. Gleichzeitig kämpfen die Brauer mit dramatischen Kostensteigerungen: Allein von 2010 bis 2011 stiegen ihre Energiekosten nach DBB-Angaben um 43 Prozent und der Malz-Preis um 53 Prozent.

In anderen Ländern ist die Branche der Krise mit einer Konsolidierung begegnet. In Frankreich und in Italien teilen sich die drei größten Brauereien je 70 Prozent Marktanteil, in Deutschland kommen selbst die fünf größten kaum über 40 Prozent. Hierzulande kommt die Konsolidierung nicht voran, weil der Kunde anonymes Konzernbier aus Kesseln vom anderen Ende der Republik wenig schätzt. Deutsche Biertrinker bevorzugen Bier aus ihrer Nachbarschaft. Was für den Bier-Experten Hollmann 2005 der Grund war, seinen Posten als Konzernmanager gegen den bei der kleinen Bolten-Brauerei zu tauschen.

(RP)
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