Anja Weber DGB-Chefin kritisiert Arbeitszeit-Initiative aus NRW

Düsseldorf · Am Freitag wird die NRW-Landesregierung im Bundesrat einen Entschließungsantrag einbringen, in dem sie ein flexibleres Arbeitszeitrecht fordert. Die DGB-Chefin von NRW, Anja Weber, lehnt das vehement ab.

 Die DGB-Chefin von NRW, Anja Weber.

Die DGB-Chefin von NRW, Anja Weber.

Foto: dpa, mg wst

Die Gewerkschaften haben zuletzt mit einer Reihe von Tarifabschlüssen mehr Freizeit durchgesetzt und damit das Arbeitsvolumen verknappt. Was spricht dagegen, dass die Unternehmen im Gegenzug flexiblere Arbeitszeiten fordern?

Weber Flexibel bedeutet ja aus Sicht der Arbeitgeber in erster Linie mehr Arbeit und nach ihren Bedürfnissen gestaltet. Die Belastung der Menschen ist ohnehin schon gestiegen. Wir müssen darüber reden, wie wir die Arbeit besser zugunsten der Arbeitnehmer organisieren, und nicht darüber, wie wir sie bis zur Erschöpfung auspressen.

Klingt aus Arbeitnehmersicht traumhaft, bedeutet aber auch mehr Aufwand.

Weber Ja, aber daran darf es nicht scheitern. Vieles wird doch durch die Digitalisierung einfacher. Wir brauchen jetzt zügig eine bessere gesellschaftliche Verteilung von Arbeit.

Oft wird das Argument vorgebracht, die Arbeitszeit müsse ausgeweitet werden, um im globalen Wettbewerb bestehen zu können…

Weber Die heutigen Arbeitszeitmodelle sind doch schon unglaublich flexibel. Auch das Arbeitszeitgesetz lässt ganz vieles zu. Ich kann bis zu zehn Stunden täglich arbeiten, wenn ich einen entsprechenden Ausgleich schaffe. Tariflich können Ruhezeiten reduziert werden. Deshalb ist das Gejammer des Arbeitgeberlagers völlig überzogen. Zumal sie sich mit einer Ausweitung der Arbeitszeit ins eigene Fleisch schneiden.

Wie das?

Weber Es ist doch niemandem geholfen, wenn die Menschen noch mehr unter Druck geraten. Wenn Beschäftigte länger als acht Stunden arbeiten, steigt die Unfallhäufigkeit. Auch werden sie unproduktiver. Die Arbeitgeber sollten ein Eigeninteresse an ausreichenden Ruhezeiten haben und ihr Störfeuer einstellen.

Die Landesregierung hat eine Bundesratsinitiative auf den Weg gebracht, mit der sie das Arbeitszeitgesetz lockern will. Wie beurteilen Sie die Pläne?

Weber Die Landesregierung muss sich entscheiden, auf welcher Seite sie steht. Will sie nur willfähriger Erfüllungsgehilfe der Unternehmer sein oder hat sie den Mut, sich für die Belange der Wähler einzusetzen. Die Mehrheit der Menschen hat das Problem, dass sie sich nicht gegen Entgrenzung der Arbeit wehren kann. Psychische Krankheiten nehmen zu. 43 Prozent der Erwerbsminderungsrenten werden mit ihnen begründet. Das sind alles Krankheitskosten, die die Gesellschaft schultern muss. Und im Grunde konterkariert die Landesregierung nun das, was wir Gewerkschafter mit viel Anstrengung in den Betrieben durchsetzen: eine bessere, menschenfreundlichere Arbeitszeitgestaltung. Diese Initiative macht mich wirklich wütend.

Muss sie vom Tisch?

Weber So schnell wie möglich. Der Handlungsbedarf erschließt sich mir nicht. Die rechtliche Lage ist ausreichend. Das Gesetz träfe am Ende die falschen. Zudem habe ich große Zweifel, dass das, was die Landesregierung vorgelegt hat, mit EU-Grundsätzen vereinbar ist.

Was fordern Sie stattdessen?

Weber Wir brauchen eine Anti-Stressverordnung. Wir schieben in Deutschland zwei Milliarden Überstunden vor uns her, eine Milliarde davon unbezahlt. Das ist ein Problem. Vielleicht ändert die Landesregierung mal ein wenig mehr ihren Fokus, anstatt für gesellschaftlichen Sprengstoff zu sorgen.

Gesellschaftlicher Sprengstoff?

Weber Ich nenne Ihnen zwei Beispiele: Wegen der Alterung der Gesellschaft sind immer mehr Menschen auf familiäre Pflege angewiesen. Wenn wir aber die Möglichkeiten schaffen, Arbeitszeiten noch mehr auszuweiten, wird das irgendwann nicht mehr möglich sein. Gleiches gilt für das Ehrenamt. Kaum jemand hat heute noch die nötige Zeit für ein freiwilliges Engagement. Dabei wäre das wichtiger denn je.

Aber was wünschen Sie sich konkret von der Regierung Laschet?

Weber Wir brauchen eine Stärkung der Tarifbindung. Arbeitgeber können in den Tarifausschüssen mit ihren Stimmen immer noch Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen verhindern. Das könnte man umkehren, wenn zur Ablehnung eine Mehrheit notwendig wäre. Dann könnte die Regierung Regelungen treffen, dass Tarifverträge bei Unternehmensaufspaltungen fortgelten. Man sollte Unternehmen, die nach Tarif zahlen, steuerlich bevorzugen. Und es wäre wünschenswert, wenn die Landesregierung öffentliche Vergaben wieder an die Bedingung knüpfen, dass die Auftragnehmer auch tarifgebunden sind. 

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