Berlin Der Handel hofft auf den Winter

Berlin · Im deutschen Einzelhandel ist der Umsatz im September so stark gesunken wie seit sieben Jahren nicht mehr - aber nur im Monats-, nicht im Jahresvergleich. Das Textilgeschäft ist wegen der milden Temperaturen eingebrochen.

Statistik ist nicht nur eine Frage absoluter Zahlen, sondern auch eine der Perspektive des Betrachters. Insofern haben die gestern vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Zahlen zum Umsatz im deutschen Einzelhandel sehr unterschiedliche Reaktionen ausgelöst. Die Statistiker berechneten im Monatsvergleich von September zu August den stärksten Umsatzrückgang seit sieben Jahren und schürten damit Rezessionsängste, während die Branche selbst gelassen bleibt. "Im Jahresvergleich ist der Umsatz nominal um 2,9 und preisbereinigt um 2,3 Prozent gestiegen", sagte ein Sprecher des Branchenverbandes HDE auf Anfrage. Mit einem Plus von 2,0 Prozent nach neun Monaten liege man noch deutlich über der bisherigen Voraussage von 1,5 Prozent nominalem Umsatzwachstum für das Gesamtjahr.

An der will der Verband nicht rütteln. Allerdings räumt der HDE-Sprecher auch ein, dass das Plus einem zusätzlichen Verkaufstag im September 2014 geschuldet sei. Rechnet man den heraus, hat im deutschen Einzelhandel kein Umsatzwachstum stattgefunden. Das Problem im letzten Monat des dritten Quartals: Es war vergleichsweise warm, und deshalb kaufen die Deutschen noch keine Wintermäntel oder wärmere Schuhe. Das Phänomen könnte sich im Oktober wiederholt haben, und wer heute morgen auf das Thermometer schaut, der denkt auch nicht an Rollkragenpullover oder dicke Stiefel. "Natürlich wünschen sich die Textilhändler kälteres Wetter", sagt der HDE-Sprecher. Die Zahlen belegen dies: Besonders gut liefen im Handel die Geschäfte in Apotheken sowie mit Medikamenten und Kosmetika (plus 8,2 Prozent); Supermärkte und Warenhäuser steigerten ihren Umsatz immerhin um 5,4 Prozent, während die Erlöse aus dem Geschäft mit Textilien, Bekleidung, Schuhen und Lederwaren um 5,7 Prozent gegenüber dem August zurückgingen. Gegenüber dem September des vergangenen Jahres betrug das Minus im Textilhandel sogar 7,3 Prozent.

Insofern bleibt hinter der Entwicklung im weiteren Jahresverlauf ein Fragezeichen. Und für Volkswirte wie Holger Sandte sind schon die aktuellen Zahlen nicht ermutigend: "Mit einer Gegenbewegung nach unten war nach dem starken August zu rechnen, aber nicht mit einem solchen Einbruch. Das ist einfach schlecht, weil damit eine Rezession in Deutschland wahrscheinlicher wird", sagt der Chefvolkswirt der Nordea Bank. Im August sei schon die Industrieproduktion schwächer ausgefallen - unter anderem wegen der Ferien in Niedersachsen, wo dann beispielsweise weniger VW vom Band rollten und weniger Schiffe vom Stapel liefen. "Der Trend ist schwach", sagt Sandte, der die Schwächeperiode aber nur als vorübergehende Erscheinung ansieht: "Denkbar ist eine Rezession (zwei aufeinanderfolgende Quartale mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung; d. Red.), aber die ist nur technisch. Der Arbeitsmarkt ist in Ordnung, das Verbrauchervertrauen auch, da muss man sich keine Sorgen machen." Ein Indiz für die weitere Entwicklung könnten die nächsten beiden Freitage liefern: In sechs Tagen gibt es neue Zahlen zur Industrieproduktion in Deutschland, eine Woche später die jüngsten Daten zum gesamten Wirtschaftswachstum in der Bundesrepublik.

Der Einzelhandel bleibt gelassen - zumindest mit Blick auf die Gesamtbranche. Mehr Gedanken als über die laufende Umsatzschwäche im Bekleidungshandel dürften sich einige über das Wachstum im Online-Handel machen. Denn der Bundesverband E-Commerce sagt für 2014 "nur" noch ein Plus im mittleren einstelligen Prozentbereich voraus, und damit sinkt die Prognose für 2014 immerhin um etwa zehn Punkte. Auch hier schwächelt der Textilbereich, aber nicht nur der: Der Online-Buchhandel, der 2013 ein Minus von 0,5 Prozent verzeichnete, verliert in diesem Jahr angeblich weiter an Umsatz, während die traditionellen Buchhandlungen zulegen dürften.

(RP)
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