Volkswagen Der Frieden in der Autostadt hat seinen Preis

Wolfsburg · VW und die zwei Zulieferer haben ihren Konflikt beigelegt, die Produktion kann wieder anlaufen. Dafür musste der Wolfsburger Autokonzern jedoch große Zugeständnisse machen.

Irgendwann dämmerte es, und die Sonne ging auf - doch selbst da ging es in den vornehmen Räumen des Ritz Carlton noch immer um die letzten Details. 19 Stunden lang hatten Vertreter des Volkswagen-Konzerns in dem Hotel im Herzen der Autostadt mit den Kontrahenten des Zulieferers Prevent verhandelt, um dem Lieferstopp ein Ende zu setzen. Was um 13 Uhr am Montag begann, endete erst um acht Uhr am anderen Morgen, ist in Wolfsburg zu hören.

Immer wieder pendelten die Vertreter beider Seiten zwischen dem großen Konferenzraum und zwei kleineren Räumen, in die man sich zurückzog, um die Vorschläge der Gegenseite durchzurechnen oder Alternativen zu beratschlagen.

Dann, endlich, die Lösung, die beide Seiten wortgleich verschickten. Man habe sich geeinigt, heißt es, die Zulieferer ES Automobilguss und Car Trim nähmen die Belieferung wieder auf, die Produktion in den VW-Werken könne wieder anlaufen, zu weiteren Details habe man Stillschweigen vereinbart.

Inzwischen ist klar, warum: Denn Volkswagen hat in dem Konflikt große Zugeständnisse gemacht: Von den 58 Millionen Euro, die Prevent nach dem Platzen eines Kooperationsprojektes gefordert hatte, wird nach Informationen unserer Redaktion ein Teilbetrag in zweistelliger Millionenhöhe bezahlt. Die Zulieferer-Tochter ES Automobilguss bleibt weiterhin Lieferant der Getriebeteile, VW darf sich allerdings in den kommenden sechs Jahren einen zweiten Partner suchen, der jedoch maximal 20 Prozent der Liefermenge übernehmen darf.

Laut "Süddeutscher Zeitung" verzichten beide Seiten außerdem auf Schadenersatzansprüche - das heißt, dass VW die Produktionsausfälle in seinen Werken nicht den Zulieferern in Rechnung stellen kann. Rund 100 Millionen Euro, schätzen Analysten, habe der Lieferstreik Volkswagen gekostet - diese Summe muss der Konzern nun wohl alleine schultern. Gleichzeitig soll ein erneuter Lieferboykott des Zulieferers durch eine vertraglich geregelte Millionenstrafe verhindert werden.

Die Ergebnisse zeigen, dass Prevent die 19 Stunden im Ritz Carlton gut für sich genutzt hat. Es hätte sogar schneller gehen können, heißt es in Verhandlungskreisen, aber tief nachts ließen sich manche der nötigen Dokumente demnach gar nicht so leicht auftreiben.

Wenig später, gegen Mittag, rollten bereits die ersten Lastwagen von Volkswagen mit den dringend benötigten Getriebeteilen vom Hof der ES Automobilguss GmbH im erzgebirgischen Schönheide. Der tagelange Konflikt, bei dem VW die Produktion in sechs Werken drosseln oder einstellen musste, war vorbei.

Allerdings haben die Produktionsausfälle bei VW weitreichende Wirkung gehabt. "Die Folgewirkungen für die gesamte Wertschöpfungskette sind beträchtlich", sagte Christoph Feldmann, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik. Wegen des Produktionsstillstands bei VW konnten die Firmen ihre Teile nicht ausliefern und mussten Bestände aufbauen. Allein bei der Produktion des wichtigsten VW-Modells Golf seien rund 500 Lieferanten beteiligt.

Doch auch VW könnten die Folgen noch länger beschäftigen: Nicht nur, dass durch den Boykott der Zulieferer ein Millionenschaden entstanden ist, den der Autokonzern angesichts von Milliardenstrafen und drohenden Prozessen im Abgasskandal überhaupt nicht gebrauchen kann - langfristig dürfte sich auch die Tektonik zwischen Zulieferern und Konzern verschieben.

"Wenn es eine Lehre aus der Posse gibt, dann die, dass VW seinen Einkauf umstrukturieren muss", sagt Ferdinand Dudenhöffer, Automobil-Experte von der Uni Duisburg-Essen. Denn wenn man einen Fall fände, bei dem ein Weltmarktführer mit mehr als 600.000 Beschäftigten sich von einer 500-Mann-Bude abhängig mache, sprächen alle Regeln der Statistik dafür, dass mehr solcher Fälle im Karton schlummern würden.

(frin)
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