Jens Weidmann Der Präsident tritt zurück

Frankfurt/Düsseldorf · Bundesbankchef Jens Weidmann kündigt seinen Rückzug zum Jahresende aus persönlichen Gründen an. Manche vermuten einen Zusammenhang mit der lockeren Geldpolitik der Europäischen Zentralbank.

 

 

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Es war ein Ritual, das sich im Frühjahr und im Herbst stets wiederholte: Seit seiner Nominierung zum Bundesbankpräsidenten Mitte 2011 saß Jens Weidmann jeweils im April und im Oktober früh morgens in einem Washingtoner Hotel neben dem Bundesfinanzminister, um den mitgereisten Journalisten bei der Tagung des Internationalen Währungsfonds Rede und Antwort zu stehen. Weidmann war jedes Mal gut gelaunt, bestens informiert, präzise, immer auch bereit zu scherzen. Erst an der Seite von Wolfgang Schäuble (CDU), später an der von Olaf Scholz (SPD).

Unabhängig von parteipolitischen Unterschieden war Weidmann eine ideale Ergänzung auf dem Washingtoner Parkett: Ohne ihn wäre die Analyse der weltwirtschaftlichen Lage und die Einordnung der deutschen Politik weniger professionell ausgefallen. Im Gegensatz vor allem zu Schäuble, aber auch zu Scholz spricht Weidmann Englisch so gut wie seine Muttersprache.

Das hätte durchaus noch über Jahre so weitergehen können. Im Mai 2019 begann für Weidmann seine zweite Amtsperiode als Bundesbankpräsident, und er hätte theoretisch bis April 2027 im Amt bleiben können. Stattdessen kam am Mittwoch die überraschende Ankündigung, Weidmann habe Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier um seine Entlassung zum Jahresende gebeten. „Ich bin zur Überzeugung gelangt, dass mehr als zehn Jahre ein gutes Zeitmaß sind, um ein neues Kapitel aufzuschlagen – für die Bundesbank, aber auch für mich persönlich“, heißt es in einem Brief des scheidenden Präsidenten an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Notenbank.

Über die Hintergründe seines überraschenden Rücktritts gibt es nur Mutmaßungen. Der 53-Jährige nennt persönliche Gründe. Weidmann sei es einfach leid gewesen, gegen die herrschende Meinung in der Europäischen Zentralbank (EZB) weiter anzukämpfen, hieß es in Frankfurter Bankenkreisen. Die EZB hatte ihre Ankaufprogramme für europäische Staatsanleihen auch nach dem Höhepunkt der europäischen Schuldenkrise ausgeweitet. Heute steht bereits ein Drittel aller Staatsschulden in ihren Büchern.

Weidmann hatte als einer der wenigen Notenbankchefs im EZB-Rat immer wieder gegen die ultralockere Geldpolitik Stellung bezogen. Deren außergewöhnlich expansive Ausrichtung könne kein Dauerzustand sein, betonte der Bundesbank-Chef. Akteure  an den Märkten neigten in Niedrigzinsphasen dazu, auf der Suche nach mehr Rendite höhere Risiken einzugehen, was  zu überhöhten Bewertungen  – teilweise am Aktien- und am Immobilienmarkt ablesbar –  und danach zu drastischen Preiskorrekturen führen könne, warnte er. Außerdem könnten durch niedrige Zinsen unrentable Unternehmen über Wasser gehalten werden. Damit, so Weidmann, würden „wertvolle Ressourcen in unproduktiven Verwendungen feststecken“.

Klarer kann man sich gegen den Kurs der EZB unter ihrer Präsidentin Christine Lagarde kaum positionieren. Doch Weidmanns Rufe waren vergeblich. Denn die EZB lenkte nicht etwa ein, sondern erhöhte vielmehr ihr Inflationsziel, gab sich zumindest mehr Flexibilität bei der Beurteilung der aktuellen Raten. Weidmann, der sich 2019 für kurze Zeit selbst Hoffnungen auf den EZB-Chefposten gemacht hatte, muss sich wie ein einsamer Rufer vorgekommen sein.

Wer sein Nachfolger sein könnte? Marcel Fratzscher beispielsweise, der als Chef des SPD-nahen Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung einer Bundesregierung unter sozialdemokratischer Führung genehm sein könnte. Oder Claudia Buch, aktuell Vizepräsidentin der Bundesbank. Oder Isabel Schnabel, die im EZB-Direktorium einen guten Job machen soll.

Auch in der deutschen Finanzpolitik dürften die Weichen bald anders gestellt werden, als es sich Weidmann gewünscht hätte: Die mögliche Ampel-Koalition will die Schulden und die staatlichen Investitionen kräftig erhöhen – ein Szenario, das die Inflation in Deutschland weiter anheizen könnte. Weidmann möchte womöglich nicht mehr der Bundesbankchef sein, der für Inflationsraten deutlich über zwei Prozent verantwortlich gemacht wird.

Entsprechend alarmiert waren am Mittwoch vor allem FDP und Union. „Den Rücktritt von Jens Weidmann bedauern wir. Er stand für eine stabilitätsorientierte Geldpolitik, deren Bedeutung angesichts von Inflationsrisiken wächst. Mit ihm war die Deutsche Bundesbank eine wichtige Stimme in Europa. Die FDP empfiehlt Deutschland Kontinuität“, schrieb FDP-Chef Christian Lindner auf Twitter. Lindner wird als möglicher neuer Bundesfinanzminister gehandelt.

Als ein „fatales Signal für die künftige Geld- und Finanzpolitik in Deutschland und Europa“ bewertete der scheidende Finanzobmann der CDU/CSU-Fraktion, Hans Michelbach, den Rücktritt Weidmanns. „Dies ist besonders fatal vor dem Hintergrund der Gedankenspiele von Rot-Grün-Gelb zur Überdehnung der Schuldenbremse und anderen fragwürdigen Tricks zur Finanzierung ihres Wünsch-dir-was-Katalogs. Deutschland droht vom Vertreter einer soliden europäischen Geld- und Fiskalpolitik zur Triebfeder einer Verschuldungs- und Haftungsunion zu werden. Weidmanns Rücktrittsankündigung ist ein eindringliches Warnsignal“, sagte Michelbach.

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