Interview mit Christoph Schmidt "Der Anti-Euro-Partei fehlt Sachverstand"

Der RWI-Chef und Vorsitzende der Wirtschaftsweisen hält die Forderungen der AfD zum Euro für naiv und die Ökonomen dieser Partei für Außenseiter der Zunft. Nach seiner Einschätzung gefährdet der Mindestlohn Hunderttausende Jobs.

 Der Volkswirt Christoph Schmidt empfiehlt, Südeuropa im eigenen Interesse Deutschlands zu helfen – aber gegen klare Auflagen.

Der Volkswirt Christoph Schmidt empfiehlt, Südeuropa im eigenen Interesse Deutschlands zu helfen – aber gegen klare Auflagen.

Foto: H.J. Bauer

Die Anti-Euro-Partei "Alternative für Deutschland" (AfD) fordert den Austritt südeuropäischer Staaten aus der Euro-Zone. Wie sinnvoll ist das?

Schmidt Es fehlt der AfD offensichtlich an ökonomischem und politischem Sachverstand. Es ist geradezu fahrlässig, den Bürgern zu suggerieren, wir könnten gewissermaßen sanft, ohne allzu große Kollateralschäden, zu einer Euro-Zone ohne die südeuropäischen Problemländer oder sogar zur D-Mark übergehen.

Was wären die Folgen?

Schmidt Investoren würden wahrscheinlich massiv gegen den Euro spekulieren, wenn wir auch nur ein einziges Land aus dem Euro herausdrängen würden. Die Währungen der austretenden Länder würden so massiv abwerten, dass deren nationale Notenbanken nicht in der Lage wären, diesen Absturz aufzufangen. Es ist zudem vollkommen naiv zu denken, man könne hier nur rein ökonomisch argumentieren und die politische Realität einfach ausblenden: Es wäre politisch höchst riskant, die Europäische Währungsunion auch nur teilweise wieder aufzulösen. Würde Deutschland andere Euro-Länder herausdrängen, stünde sofort der gesamte europäische Integrationsprozess in Frage.

Wie teuer wäre die Teil-Auflösung der Euro-Zone für Deutschland?

Schmidt Sowohl die Euro-Rettung als auch das Scheitern der Euro-Rettung können uns viele Milliarden Euro kosten. Das Risiko eines Scheiterns des Euros ist allerdings größer als das der Euro-Rettung, weil wir in eine große Wirtschaftskrise stürzen würden. Entscheidend ist, dass wir verlernt haben, wertzuschätzen, was der Frieden in Europa für uns bedeutet. Es ist für mich unfassbar, dass die AfD bereit ist, den Frieden in Europa aufs Spiel zu setzen.

Die führenden Köpfe in der AfD sind Ökonomen. Was heißt das für Ihre Zunft?

Schmidt In der AfD sind Außenseiter unserer Zunft vertreten. Wenn man mich fragen würde, welche Ökonomen ich in einer wichtigen volkswirtschaftlichen Frage um Rat fragen würde, dann wäre sicher keiner dieser Herren dabei. Es gibt in Deutschland kein einziges unabhängiges ökonomisches Gremium, das den Austritt Deutschlands aus der Euro-Zone oder den kollektiven Austritt anderer Euro-Staaten empfehlen würde.

Auch nicht Hans-Werner Sinn (Ifo)?

Schmidt Hans-Werner Sinn hat den Austritt Griechenlands empfohlen, damit es mit eigener Währung abwerten und seine Wettbewerbsfähigkeit wieder erlangen kann. So sehr ich Hans-Werner Sinn bewundere, hier liegt er aus meiner Sicht falsch.

Wo stehen wir momentan in der Euro-Krise? Ist der größte Weg zurückgelegt?

Schmidt Wir haben bisher nur Zeit gekauft. Es zeichnen sich zwei mögliche Szenarien für die kommenden Jahre ab: Entweder die EZB stützt immer wieder, wenn Unsicherheit aufkeimt, mit ihrer sehr lockeren Geldpolitik die Wackelkandidaten. Dadurch würde sie die Krise aber nur verlängern. Die Wachstumsraten drohen so dauerhaft sehr niedrig zu bleiben. Oder die Strukturreformen beginnen irgendwann zu greifen, und das Wachstum zieht wieder an. Dann müsste die EZB auf die Bremse treten, was aus unserer Sicht allerdings nicht unbedingt sicher ist.

Was ist Ihr Rat?

Schmidt Der Sachverständigenrat hat einen Befreiungsschlag vorgeschlagen: Lasst uns die akkumulierten Altschulden aller Länder, auch von Deutschland, die oberhalb der Grenze von 60 Prozent des jeweiligen Bruttoinlandprodukts liegen, in einen gemeinsamen Altschuldentilgungsfonds auslagern, damit wir wieder handlungsfähig werden. Im Gegenzug zur gemeinsamen und damit für die Krisenländer günstigeren Refinanzierung der Altschulden verpflichten sich alle teilnehmenden Länder zu strikter Haushaltsdisziplin und Reformen.

Der Rest der Euro-Zone, inklusive der EZB, drängt Deutschland in eine Bankenunion mit gemeinsamer Abwicklungsbehörde und Einlagensicherung. Wie sollen wir reagieren?

Schmidt Hier geht es um die Verteilung der Altlasten in den Bankbilanzen. Einen Teil dieser Altlasten würden andere Länder gerne Deutschland aufbürden. Hier sagen wir: Die Altlasten der angeschlagenen Banken, die unter der nationalen Finanzaufsicht aufgelaufen sind, gehören auch in die nationale Verantwortung. Hierfür können betroffene Länder Hilfsanträge beim ESM stellen. Im Gegenzug müssen sie alle dafür erforderlichen Auflagen erfüllen. Langfristig plädiert auch der Sachverständigenrat für eine Bankenunion, auch mit einem gemeinschaftlichen Abwicklungsfonds. Aber das gilt für eine Welt, in der die eintretenden Banken keine Altlasten mehr haben. Eine gemeinsame Einlagensicherung ist allerdings nicht erforderlich.

Sollen bei der Bankenabwicklung auch Sparer mit Einlagen von über 100 000 Euro beteiligt werden?

Schmidt Wir unterstützen die von der EU-Kommission vorgeschlagene Haftungskaskade: Erst haften die Eigentümer der abzuwickelnden Banken, dann deren Gläubiger und als Letztes auch die Sparer mit Konten von über 100 000 Euro.

Sind Steuererhöhungen das richtige Rezept?

Schmidt Ich halte die Steuererhöhungspläne für unbegründet. Es fällt schwer nachzuvollziehen, dass wünschenswerte Mehrausgaben für Bildung, Soziales und Infrastruktur nur über Steuererhöhungen zu finanzieren seien. Die Steuereinnahmen sind so hoch wie noch nie in der Geschichte des Landes. Auch die Steuerquote, also der Anteil der Steuereinnahmen an der Wirtschaftsleistung, erreicht momentan einen ihrer höchsten Stände. Statt Steuererhöhungen brauchen wir eine Überprüfung aller Ausgaben von Bund und Ländern. Einsparungen in den Personalhaushalten sind sicher noch möglich.

Welche Rolle spielt der Abbau von Steuervergünstigungen wie der Pendlerpauschale?

Schmidt Die Koch-Steinbrück-Liste zum Subventionsabbau ist noch nicht abgearbeitet. Ich persönlich befürworte auch eine Abschaffung der Pendlerpauschale.

Wie sieht es aus mit einer Reform des föderalen Systems?

Schmidt Wir sollten uns fragen, ob wir im Jahr 2020 oder 2030 noch 16 Bundesländer brauchen werden. Natürlich müssen wir unser föderales System ständig hinterfragen.

Wie wird sich die Konjunktur bis zum Jahresende entwickeln?

Schmidt Impulse aus dem Ausland fehlen momentan. Im Inland kommt von den Investitionen wenig, weil die Unsicherheit so groß ist. Die Stimmung ist jetzt genauso schlecht wie die Lage. Unsere positiven Prognosen vor einigen Wochen lebten davon, dass das Vertrauen in der zweiten Jahreshälfte zurückkehrt. Das sehe ich derzeit eher nicht mehr. Ich sehe keine große Konjunkturerholung im zweiten Quartal.

Sie prognostizieren also eine Stagnation im laufenden Jahr?

Schmidt Wir erwarten immer noch ein Wachstum von etwa einem halben Prozent. Der Arbeitsmarkt bleibt relativ robust.

Wie würde ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 Euro wirken?

Schmidt Ein Stunden-Mindestlohn von 8,50 Euro würde nahezu 20 Prozent aller Beschäftigten in Deutschland betreffen, ein Mindestlohn von zehn Euro nahezu 30 Prozent. Davon wären viel mehr Menschen betroffen als vom jeweiligen Mindestlohn in Frankreich oder Großbritannien. Man muss sehr skeptisch sein, dass der Mindestlohn ohne große Beschäftigungsverluste einherginge. Wir haben vor ein paar Jahren errechnet, dass ein Mindestlohn von 7,50 Euro fast eine Million Jobs gekostet hätte. Die Gefahr ist groß, dass ein Mindestlohn von 8,50 Euro heute einige Hunderttausend Jobs kosten würde. Ich verstehe nicht, warum die Befürworter eines Mindestlohns nicht erst mal mit niedrigeren Forderungen anfangen, um dann nach einer Einführung sehen zu können, wie sich ein gesetzlicher Mindestlohn in Deutschland tatsächlich auswirkt.

BIRGIT MARSCHALL UND GREGOR MAYNTZ FÜHRTEN DAS INTERVIEW

(mar / may-)
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