Frankfurt/M. Dem Kulturwandel folgt der Kulturschock

Frankfurt/M. · Der Deutsche-Bank-Quartalsverlust von vermutlich sechs Milliarden Euro kommt überraschend. Er ist ein Zeichen dafür, dass der neue Konzernchef John Cryan die Bank radikal umkrempelt - anders als seine Vorgänger.

Tabula rasa bei der Deutschen Bank. John Cryan, der neue Konzernchef, baut radikal um, und er unterscheidet sich damit ebenso radikal von seinem Vorgänger Anshu Jain, dem seine Kritiker mittlerweile vorwerfen, er habe in den vergangenen Jahren bei seinen Statements vorwiegend Luftschlösser gebaut. Cryan hat schon vor seinem Amtsantritt den Ruf eines harten Sanierers gehabt, und dem wird er nun gerecht.

Wenn noch jemand daran gezweifelt haben sollte, dass bei der Deutschen Bank der Zeit des vielzitierten Kulturwandels unter Jain und Jürgen Fitschen ein Moment des Kulturschocks folgen wird, dann sind diese Zweifel ausgeräumt. Denn ein Schock ist das, was der ab dem kommenden Jahr allein amtierende Chef Cryan andeutet, wirklich. Großreinemachen ist eine eher niedliche Umschreibung für das, was der Brite, der gestern 100 Tage im Amt war, dem Unternehmen zumutet. In Zahlen ausgedrückt sind das siebeneinhalb Milliarden Euro an Wertkorrekturen und Rückstellungen, und das Ergebnis ist ein vermutlicher Quartalsverlust von sechs Milliarden Euro.

Solches hat man als Aktionär der Deutschen Bank bei allen Belastungen der jüngeren Vergangenheit noch nicht erlebt. Es trifft die Anteilseigner insofern, als sie jetzt schon wissen, dass ihre Dividende gekürzt wird oder ausfällt und somit als Investment auch nicht rentabler ist als ein Sparbuch. Immerhin dürfen sie sich damit trösten, dass die Börsianer nach dem anfänglichen Schrecken offensichtlich zu der Erkenntnis gekommen sind, dass Hiobsbotschaften aus dem Hause Deutsche Bank nicht mehr so schlimm sind. Das jedenfalls suggeriert ein Kursrückgang von nicht einmal einem halben Prozent. Und wenn man will, kann man hinter dem Cut bei der Dividende sogar eine frohe Botschaft vermuten - nämlich die, dass den Anteilseignern zunächst eine Kapitalerhöhung erspart bleibt, die ihren Anteil an Deutschlands größter Bank verwässern könnte. "Die Bank hat mit ihrer Ankündigung ein Stück Unsicherheit am Kapitalmarkt beseitigt", sagte Fondsmanager Ingo Speich von Union Investment

So weit die positive Interpretation der Deutsche-Bank-Nachrichten. Sie ändert nichts daran, dass 1,2 Milliarden Euro neue Rückstellungen für juristische Streitigkeiten ernüchternd sind angesichts der Milliarden, die schon vorher beiseitegelegt worden waren. Die Zahlen zeigen, dass man bei der Deutschen Bank das Rechtsrisiko offenbar alle paar Monate neu taxieren muss. Ob die jetzt angekündigten Rückstellungen reichen, weiß die Bank selbst auch nicht.

Rund 5,8 Milliarden Euro Wertberichtigungen im Investmentbanking und im Privatkundengeschäft sind natürlich auch dem Schrumpfungsprozess beider Geschäftsfelder geschuldet. Aber sie beweisen in Sachen Postbank auch, dass die Deutsche Bank noch unter der Führung von Josef Ackermann für die größte reine Privatkundenbank Deutschlands viel zu viel Geld bezahlt hat. Sechs Milliarden Euro sind damals bezahlt worden, viel mehr als zwei Drittel davon wird die Deutsche Bank beim Verkauf kaum erlösen können.

Nichts gesagt hat Cryan dazu, ob und in welchem Ausmaß Stellen gestrichen werden. Das wird wohl am 29. Oktober bei der Vorstellung der Zukunftsstrategie passieren. Die Rede ist davon, dass von 98.000 Vollzeitstellen in den nächsten Jahren zwischen 8000 und 10.000 wegfallen könnten. Cryans Aussage, Aktionäre würden erwarten, dass auch Mitarbeiter einen Teil der Belastung tragen sollten, war zwar nur auf Investmentbanker bezogen, deren Boni schrumpfen sollen. Aber auch der Durchschnitts-Beschäftigte muss wieder bangen.

(RP)
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