Dieter Kempf "Datensicherheit muss Bestandteil des Freihandelsabkommens sein"

Düsseldorf · Der Präsident des IT-Branchenverbands Bitkom fordert, eine Einigung zwischen der EU und den USA dürfe es nur unter Bedingungen geben.

 Dieter Kempf (61) ist Präsident des IT-Branchenverbands Bitkom und Chef des IT-Dienstleisters Datev.

Dieter Kempf (61) ist Präsident des IT-Branchenverbands Bitkom und Chef des IT-Dienstleisters Datev.

Foto: dpa

In diesem Jahr ist Großbritannien das Partnerland bei der Technikmesse Cebit. Ist dies angesichts der Überwachungsskandale der vergangenen Monate nicht der falsche Partner?

Kempf Nein. Man darf sich nicht nur von den Diskussionen um die NSA und den britischen Geheimdienst GCHQ leiten lassen. Großbritannien ist nach Deutschland die zweitgrößte Informations- und Telekommunikationstechnologie-Nation in Europa und einer unserer wichtigsten Handelspartner — und darum geht es bei der Cebit.

In Deutschland hat nach Bekanntwerden der Ausspäh-Affäre eine Debatte über Datensicherheit eingesetzt. Hat sie auch etwas bewirkt?

Kempf Nach den Snowden-Enthüllungen stieg bei vielen Anbietern aus dem Bereich IT-Sicherheit die Nachfrage. Meine Erfahrung ist aber, dass die Halbwertszeit der Empörung bei den Themen Datenschutz und Datensicherheit relativ kurz ist. Viele gehen schnell zur Tagesordnung über. Denn Datenschutz kostet Geld und ist unbequem. Insbesondere im Mittelstand stellt sich leider schnell eine seltsame Mischung aus Resignation und Desinteresse ein.

Braucht es eine europaweite Datenschutzverordnung?

Kempf Definitiv. Je größer ein einheitlicher Rechtsraum ist, umso leichter ist es für multinational tätige Unternehmen. Auch für Bürger hätte es Vorteile, wenn sie wüssten, dass jede auf europäischem Gebiet angebotene Dienstleistung denselben Datenschutzvorschriften unterliegt.

Die EU und die USA diskutieren aktuell auch über ein Freihandelsabkommen. Sehen Sie darin Chancen für die deutsche IT-Wirtschaft?

Kempf Wir begrüßen das Freihandelsabkommen, das Thema Datensicherheit muss aber natürlich Bestandteil eines solchen Abkommens sein. Zu einem bilateralen Abkommen gehört auch ein gemeinsames Verständnis von Datenschutz und Datensicherheit. Dann würde ein Freihandelsabkommen Vorteile auf beiden Seiten bringen.

Es gab in der IT-Branche riesige Übernahmen, wie zuletzt zwischen Facebook und WhatsApp. Bildet sich da eine neue Spekulationsblase?

Kempf Der Kaufpreis für WhatsApp war bemerkenswert — allein wenn man bedenkt, dass ein Unternehmen wie Vodafone eine ähnlich große Kundenzahl hat und diese jeden Monat auch noch Geld für die Leistungen zahlen. Da werden oft Wetten auf die Zukunft abgeschlossen.

Deutsche Unternehmen spielen bei solchen Übernahmen keine Rolle. Warum sind sie so wenig interessant für die US-Internetriesen?

Kempf Wir haben ein Problem beim Wachstum. Auf dem großen US-Markt können Start-ups schneller wachsen und kommen leichter an Risikokapital. Der deutsche Markt ist zu klein. Es ist auch eine Frage der Mentalität: Wir haben eine hervorragende Start-up-Szene, aber wenn Investoren mit ein paar Millionen winken, wird oft zu früh Kasse gemacht. In den USA sind die Menschen anders. Da sagt man: Wenn jemand ein paar Millionen bietet, muss ich noch ein bisschen warten, der nächste bietet eine Milliarde.

Sehen Sie nach der Übernahme von WhatsApp denn Chancen für eine deutsche Variante mit deutschem Datenschutzstandard?

Kempf Es gab solche Versuche bereits bei den sozialen Netzwerken. StudiVZ und SchülerVZ waren sehr engagiert im Datenschutz, allerdings wird das von den Nutzern nicht honoriert. Gerade bei sozialen Netzwerken habe ich das Gefühl, dass sich die Nutzer im Zweifel für Bequemlichkeit und nicht für den hohen Datenschutz entscheiden.

In Deutschland fehlen Fachkräfte im MINT-Bereich (Mathe, Informatik, Naturwissenschaften und Technik). Was muss sich im Schulsystem ändern, um den Mangel zu beheben?

Kempf Wir brauchen mehr Begeisterung für naturwissenschaftliche Fächer. Das wurde in den vergangenen Jahrzehnten vernachlässigt —genauso wie die entsprechende Lehrerausbildung. Die aktuelle Lehrergeneration ist zu wenig MINT-affin. Darum muss die Industrie schulische Angebote ergänzen.

Sollte Informatik ein Pflichtfach an Schulen werden?

Kempf Ein Pflichtfach Informatik braucht es nicht, um zehnjährige Jung-Informatiker zu züchten. Aber natürlich gehören Informatik-Grundkenntnisse zu den "Kulturtechniken" der Zukunft dazu. So muss zum Beispiel der Umgang mit PC und neuen Medien schon in den Grundschulen eine Rolle spielen — so wie wir früher gelernt haben, mit Füller zu schreiben. Da gibt es vielerorts noch Nachholbedarf. Ein Fach Informatik könnte hier sehr wohl helfen. Wenn jemand am Ende der Schulzeit nicht in der Lage ist, einen PC oder ein Smartphone richtig und verantwortungsvoll zu bedienen, haben wir ihn auf das Leben nicht richtig vorbereitet.

(RP)
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