Atomkraft in Deutschland Das sind die Folgen der Laufzeit-Verlängerung

Berlin · Die Meiler von Eon und EnBW können bis April 2023 laufen. Der FDP und Energieexperten reicht das nicht. Es soll keine spezielle Übergewinnsteuer für Atomkonzerne geben. Umweltverbände kritisieren Robert Habeck.

Wasserdampf steigt aus dem Kühlturm des Eon-Meilers Isar 2.

Wasserdampf steigt aus dem Kühlturm des Eon-Meilers Isar 2.

Foto: dpa/Armin Weigel

Am Ende war der Atomausstieg zum Jahresende nicht zu halten. Zwei der drei noch in Deutschland laufenden Atomkraftwerke (AKW) können nun bis April am Netz bleiben. „Wenn ein Einsatz der beiden AKW im Winter notwendig ist, weil eine Netzinstabilität droht, ist ein Weiterbetrieb für drei Monate vernünftig und verantwortbar“, sagte der Sprecher von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Die endgültige Entscheidung soll im Dezember fallen. Die Reaktionen fallen gemischt aus.

Wie lange laufen die Meiler nun? Die Meiler Isar 2 (betrieben von Eon/Preussenelektra) und Neckarwestheim (EnBW) sollen nun bis zum 15. April Strom produzieren können. Dazu sollen die Atomkraftwerke in den Streckbetrieb gehen, also die vorhandenen Brennstäbe ausschöpfen. Damit sei eine Stromproduktion von 1,7 Terawattstunden möglich, so EnBW. Eon kann mit Isar 2 im nächsten Jahr noch zwei Terawattstunden produzieren. Zunächst geht die Anlage aber in einen Kurzstillstand, um eine Revision von Ventilen durchzuführen. „Nach dem Wiederanfahren kann die Anlage mit dem bestehenden Reaktorkern bis voraussichtlich März 2023 weiterlaufen“, so Eon. Konzern-Chef Leonhard Birnbaum betonte: „Sozialpläne sind gemacht, Dienstleister unter Vertrag – wir sind bereit, all dies noch einmal anzupacken.“ Der Meiler Emsland, betrieben von RWE, soll dagegen wie geplant zum Jahresende vom Netz gehen. „Die Entscheidung über Lingen liegt bei der Politik. Technisch wäre ein Streckbetrieb in Lingen möglich“, so die RWE-Sprecherin.

Was ist mit zusätzlichen Gewinnen - und Risiken? Habeck hat mit den Konzernen ein fünfseitiges Eckpunkte-Paper vereinbart. Danach gilt: Wenn der Staat die Atomkraftwerke aus der Reserve abruft, „sind die Strommarkterlöse Gegenstand der allgemeinen Regelungen zu einer Abschöpfung von Übergewinnen“, wie es in dem Papier heißt. Zugleich betont es aber auch: „Eine spezifische Abschöpfung von Übergewinnen bei den Betreibern von Atomkraftwerken findet nicht statt.“ Die Betreiber sagen zu, Gewinne in die Energiewende zu investieren. Werden die Meiler dagegen nicht abgerufen, erstattet der Bund Eon und EnBW die entstandenen Kosten. „Die Betreiber sollen keine Verluste aufgrund der Einsatzreserve machen“, heißt es.

Ist ein Weiterbetrieb über März hinaus möglich? Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) lehnt das kategorisch ab: „Eine Laufzeitverlängerung über den kommenden Winter hinaus und die dafür erforderliche Neubeschaffung von Brennelementen schließe ich aus“, sagte sie. Doch die FDP wünscht sich einen Weiterbetrieb darüber hinaus, was heißen würde, dass die Konzerne neue Brennstäbe ordern müssen - und zwar schnell. „Wenn man neue Brennstäbe bestellt, dann muss man die Reaktoren auch über weitere Jahre laufen lassen“, sagte Michael Vassiliadis, Chef der Gewerkschaft IG BCE. Der Energieexperte des RWI-Leibniz-Institutes, Manuel Frondel, fordert längere Laufzeiten: „Die pragmatische Vorgehensweise der Regierung ist zu begrüßen. Ohne den Atomausstiegskonsens in Frage zu stellen, sollte aber darüber nachgedacht werden, aus Versorgungssicherheitsgründen die AKW bis nach dem Winter 2023/2024 laufen zu lassen“, so Frondel. „Denn eine Gas- und Strommangellage ist im übernächsten Winter noch viel eher zu erwarten als diesen Winter.“

Was sagen Umweltschützer und Grüne? Für die aus der Anti-Atomkraft-Bewegung entstandenen Grünen ist die Verlängerung eine harte Nuss. Von Umweltverbänden wie Greenpeace und Umwelthilfe hagelte es Kritik. Auch der Präsident des Deutschen Naturschutzrings, Kai Niebert, mahnte: „In Frankreich fallen baugleiche Atomreaktoren aus Sicherheitsgründen aus – in Deutschland laufen sie nur noch, weil keine grundlegende Sicherheitsprüfung stattfindet“. Die Anschläge auf die Gasleitungen zeigten, dass auch kritische Infrastruktur mehr sicher sei, sagte Niebert unserer Redaktion. „In den sich verstärkenden Krisen weiter auf die Atomkraft zu setzen ist energiepolitisches und sicherheitspolitisches Harakiri.“ Die Grünen im Bundestag stärkten Habeck hingegen den Rücken. „Die Fraktion unterstützt diesen Kurs der Einsatzreserve“, sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin, Irene Mihalic. Man spreche noch immer über die „Einsatzreserve“. Mihalic wollte dem Eindruck entgegenwirken, dass es inzwischen um eine Laufzeitverlängerung gehe. „Da sind wir glasklar, am Atomausstieg wird nicht gerüttelt.“ Man werde keine neuen Brennstäbe kaufen.

Wie geht das Ganze rechtlich? Habecks Ministerium teilte mit, dass man einen Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens Ende Oktober anstrebe. Es sind Änderungen im Atom- und Energiewirtschaftsgesetz erforderlich, die der Bundestag beschließen muss. Das Bundeskabinett soll sich am 5. Oktober damit befassen.

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