Schifffahrt in der Corona-Krise Tausende Seeleute warten auf Ablösung

Mönchengladbach/Hamburg · Reisebeschränkungen machen Crew-Wechsel in anderen Ländern fast unmöglich. Viele Schiffsbesatzungen müssen ihren Dienst auf hoher See um bis zu einen Monat verlängern. Sie helfen damit, die Versorgung an Land zu sichern.

 Ein Container-Schiff im Hamburger Hafen (Symbolfoto).

Ein Container-Schiff im Hamburger Hafen (Symbolfoto).

Foto: dpa/Christina Sabrowsky

Das, was ihr Sohn jetzt durchmachen muss, findet Halina Ebert aus Mönchengladbach „überhaupt nicht lustig“: Als zweiter Offizier muss der 36-Jährige ein großes Frachtschiff von Marokko nach Brasilien quer über den Atlantik manövrieren. Dabei sollte er beim letzten Stopp in Marokko nach vier Monaten auf See abgelöst werden. Das Problem: Die neue Besatzung kam nicht aufs Schiff. Grund sind die Reisebeschränkungen, die fast überall auf der Welt zur Eindämmung der Corona-Krise gelten. Jetzt muss Eberts Sohn weiterfahren; aus vier Monaten dürften für ihn nun fünf werden. „Seine Frau wartet mit zwei Kindern zuhause. Das ist eine sehr unbefriedigende Situation für die Familie“, sagt die Mutter.

Das ist kein Einzelfall: Der Verband Deutscher Reeder (VDR) geht davon aus, dass weltweit rund 100.000 Seeleute nicht wie geplant abgelöst werden können. „So viele Crew-Wechsel finden pro Monat auf der ganzen Welt statt“, sagt Sprecher Christian Denso. Auch mehrere Tausend deutsche Seeleute im internationalen Schiffsverkehr können nicht wie geplant von anderen Besatzungen nach Wochen oder Monaten abgelöst werden. In Extremfällen verlängere sich die Aufenthaltsdauer von Seeleuten auf ihrem Frachtschiff durch Corona auf bis zu ein Jahr. „Die Seeleute arbeiten praktisch überall einfach weiter, um die Versorgung sicherzustellen. Mindestens einen Monat können die meisten Besatzungen nicht abgelöst werden“, ergänzt Verbandschef Alfred Hartmann.

Frische Besatzungsmitglieder reisen häufig mit dem Flugzeug in die Länder, die das Schiff als nächstes ansteuert. „Durch Ausgangssperren und Auflagen der Behörden ist das kaum noch möglich. Zum Teil dürfen alte Besatzungen nicht an Land, neue Crews nicht aufs Schiff“, sagt Christian Denso, der jedoch auch berichten kann, dass sich die Lage vielerorts allmählich entspannt: Seeleute würden in vielen Ländern nun als wichtiges Personal eingestuft – auch, weil sie die Versorgung sichern. Ein Appell des VDR und weiterer Reeder-Verbände, Schiffspersonal von Reiseverboten auszunehmen, zeigt Wirkung. Allerdings haben neue Besatzungen noch immer das Problem, nicht an ihre Arbeitsorte zu kommen.

Stark von den Problemen in Bezug auf Crew-Wechsel betroffen ist die Reederei Hapag-Lloyd, die mit rund 100 eigenen Schiffen zu den größten in Deutschland zählt. Sprecher Nils Haupt schätzt, dass 80 Prozent des Personals wegen Corona länger auf den jeweiligen Schiffen arbeiten muss, als eigentlich vorgesehen. Das entspricht gut 1900 Seeleuten. „Das ist für sie zwar eine Belastung“, sagt Haupt. Allerdings seien sie sich ihrer Verantwortung in der Krise bewusst. Probleme bei der Versorgung der Besatzungen gebe es indes nicht. Auch wenn Crews nicht wechseln könnten, bekämen sie in den Häfen Lebensmittel und Medikamente.

In Deutschland sind die Seehäfen offen: Vor dem Einlauf müssen Besatzungen aber eine Gesundheitserklärung abgeben und werden über Hygiene- und Sicherheitsmaßnahmen informiert. Der hafenärztliche Dienst des jeweiligen Landes entscheidet im Zweifelsfall, ob ein Schiff einlaufen darf oder nicht.

Laut VDR werden 90 Prozent aller Waren weltweit über das Meer transportiert. Deutschland als fünftgrößte Schifffahrtsnation der Welt habe einen wesentlichen Anteil daran, dass es zu keinen Versorgungsengpässen kommt. Schiffe als abgeschlossene Einheiten, die oft wochenlang auf dem Meer unterwegs sind, seien jetzt besonders zum Gütertransport geeignet. „Wir transportieren Waren, nicht Viren“, sagt Verbandschef Hartmann.

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