Bundesbankpräsident Weidmann kritisiert jüngste EZB-Zinsentscheidungen

Berlin · Bundesbankpräsident Jens Weidmann hat seine kritische Haltung zum geldpolitischen Kurs der Europäischen Zentralbank bekräftigt.

Jens Weidmann.

Jens Weidmann.

Foto: dpa, ade fdt tba

Die jüngsten Beschlüsse seien "sehr weitgehend" und hätten ihn "in der Summe nicht überzeugt", sagte Weidmann den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. "Wir erwarten weiterhin ein Anziehen der Konjunktur und der Preise. Es droht keine Deflation." Mit Deflation ist eine gefährliche Abwärtsspirale aus schrumpfenden Preisen und wirtschaftlicher Talfahrt gemeint.

Weil die Teuerung in der Eurozone seit geraumer Zeit unter der EZB-Zielmarke von knapp zwei Prozent liegt, hatten die Währungshüter in Frankfurt vor gut einer Woche ein beispielloses Maßnahmenpaket beschlossen: Sie senkten überraschend den Leitzins von 0,05 Prozent auf null Prozent und erhöhten den Strafzins, der fällig wird, wenn Finanzinstitute Geld bei der EZB parken. Schließlich pumpt die EZB noch mehr Geld in den Wirtschaftskreislauf, indem die monatlichen Anleihenläufe von bislang 60 auf 80 Milliarden Euro aufgestockt werden. All dies soll die Preise im Euroraum schneller steigen lassen und die in Teilen der Währungsunion schleppende Konjunktur ankurbeln.

"Ich habe aber immer wieder darauf hingewiesen, dass die Wirkung der ultralockeren Geldpolitik schwächer wird, je länger sie andauert", sagte Weidmann. "Gleichzeitig gilt: Je stärker man Gas gibt, desto größer werden Risiken und Nebenwirkungen."

Weidmann selbst hatte indes bei der Sitzung am 10. März nicht mit abstimmen dürfen. Grund ist ein Rotationsverfahren im Entscheidungsgremium der Notenbank. Es greift, seit Litauen zum 1. Januar 2015 das 19. Mitglied im Euro-Club wurde.

Der Bundesbankpräsident kritisierte dieses Verfahren: "Durch diese Regel hat man nun eine Debatte über die Legitimität der Entscheidungen, die unnötig ist. Faktisch bringen sich ohnehin weiter alle Ratsmitglieder in die Diskussion ein, und ich sehe nicht, dass eine Entscheidung ohne Rotation anders ausgefallen wäre."

Wohin steuert die Geldpolitik?

So viele Weichenstellungen in so kurzer Zeit gibt es selten: Binnen gut einer Woche haben sieben der wichtigsten Notenbanken der Welt ihre geldpolitischen Entscheidungen getroffen.
Das Wichtigste im Überblick.

USA: Die Chefin der US-Notenbank Fed ist ziellos wie ein Fähnchen im Wind. So sehen es jedenfalls ihre Kritiker. Nachdem Janet Yellen im Dezember erstmals seit der Krise die Zinsen von der Nulllinie angehoben hatte, ist von einer Zinswende nichts mehr zu spüren. Aus Sorge um die Weltwirtschaft hat Yellen den Leitzins am Mittwoch zum zweiten Mal seit Dezember unangetastet in einer Spanne zwischen 0,25 und 0,50 Prozent belassen. Für 2016 rechnet die Fed jetzt nur noch mit zwei statt vier Anhebungen. Dabei ist der US-Arbeitsmarkt robust, die Wirtschaft wächst.

EUROZONE: Mario Draghi ließ Worten Taten folgen und bewies am 10.
März, dass er im Kampf gegen Mini-Inflation und Konjunkturschwäche viele Mittel zur Hand hat: Der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) senkte alle wichtigen Leitzinsen, weitete das milliardenschwere Wertpapierkaufprogramm aus und legte neue Langfristkredite für Banken auf. Bitter für Draghi: Die Märkte waren trotzdem schlecht gelaunt.
Nachdem er gesagt hatte, dass wohl vorerst keine weitere Zinssenkungen anstehe, reagierten sie verunsichert - Wasser auf die Mühlen der Draghi-Kritiker. Geht der EZB die Munition aus?

JAPAN: Es ist fast schon ein Ritual: Wieder einmal senkten die japanischen Notenbanker ihre Inflationserwartungen. Eine Ausweitung der Geldflut gab es jüngst dennoch nicht. Nicht einmal die japanischen Währungshüter glaubten noch an die Wirksamkeit ihrer Medizin, sagen Kritiker. Die Finanzmärkte reagierten verschnupft: Die Aktienkurse gaben nach, der Yen legte zu. Notenbankchef Haruhiko Kuroda betonte schon am nächsten Tag: Weitere Leitzinssenkungen von derzeit minus 0,1 auf bis zu minus 0,5 Prozent seien denkbar.

GROSSBRITANNIEN: Die Angst vor einem Austritt Großbritanniens aus der EU hält die britische Geldpolitik in ihrem Bann. Die Anleger seien verunsichert und die Kauflust der Briten könnte gedämpft werden, stellten die Notenbanker am Donnerstag fest. Kein gutes Umfeld für eine Zinsanhebung. Die Bank of England ließ den Leitzins unverändert auf dem Rekordtief von 0,5 Prozent. Während früher einige Experten damit rechneten, dass die Briten wie die Fed bald ihre Zinsen anheben würden, erwartet das inzwischen kaum noch jemand.

SCHWEIZ: Der zuletzt gestärkte Euro hat den Schweizern am Donnerstag Gelegenheit für eine Verschnaufpause gegeben. Seitdem sie im Januar 2015 die Wechselkursbindung des Franken an den Euro aufgegeben haben, kämpfen sie mit Eingriffen am Devisenmarkt und mit Niedrigzinsen gegen einen allzu starken Franken. Denn der schwächt die Exportunternehmen. Gerne lockern die Schweizer ihre Geldpolitik aber nicht. Sie fürchten Blasenbildungen am Häusermarkt. Kein Wunder also, dass sie am Donnerstag still hielten: Den Zins für Bankeinlagen ließen sie unverändert bei minus 0,75 Prozent.

NORWEGEN: Die norwegischen Währungshüter sind in einer Zwickmühle: Mit einer historisch einmaligen Niedrigzinspolitik wollen sie der Wirtschaft unter die Arme greifen. Denn die ist stark abhängig von Ölexporten und leidet unter dem rapiden Verfall der Ölpreise. Aber die Hilfe ist riskant: Die Inflation ist in Norwegen vergleichsweise hoch. Am Donnerstag zeigten sich die Norweger dennoch entschlossen und senkten den Leitzins auf ein neues Rekordtief von 0,50 Prozent. Außerdem kündigten sie an, dieses Jahr womöglich noch nachzulegen.

RUSSLAND: In einer ganz ähnlichen Zwickmühle wie die Norweger befinden sich die Russen. Nur ist bei ihnen alles noch viel schlimmer. Der massive Verfall der Ölpreise und internationale Wirtschaftssanktionen haben das Land in eine tiefe Rezession gestürzt. Bis zum Sommer 2015 haben die Notenbanker binnen eines halben Jahres den Leitzins von 17 auf 11 Prozent gesenkt, um die Konjunktur anzuschieben. Das hat aber den Rubel auf Talfahrt geschickt und lässt die Inflation galoppieren. Daher entschieden sich die Notenbanker am Freitag gegen eine weitere Leitzinssenkung.

(felt/dpa)
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