Brexit Wirtschaft entsetzt über harte Fronten

Berlin/London · Die EU und Großbritannien kommen bei den Verhandlungen über den britischen EU-Austritt nicht voran, Fristen können nicht eingehalten werden. Der DIHK fordert Firmen auf, sich besser auf einen harten Brexit vorzubereiten.

 Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, rät deutschen Firmen, sich auf einen harten Brexit und Zölle im Warenverkehr mit Großbritannien einzustellen.

Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, rät deutschen Firmen, sich auf einen harten Brexit und Zölle im Warenverkehr mit Großbritannien einzustellen.

Foto: dpa/Monika Skolimowska

Die deutsche Wirtschaft hat angesichts der schwindenden Verhandlungszeit bis zum EU-Austritt Großbritanniens im März 2019 vor den gravierenden Folgen eines Scheiterns der Verhandlungen zwischen der EU und London gewarnt. „Die Brexit-Verunsicherung erreicht einen neuen Höchststand. In einem halben Jahr droht der Brexit, aber niemand weiß welcher“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), Martin Wansleben. Bereits die dritten Sommerferien seien verstrichen, ohne dass die Wirtschaft Klarheit über die künftigen Beziehungen zu Großbritannien habe. „Viele Betriebe stellen sich notgedrungen auf den härtesten möglichen Brexit ein, also Grenzkontrollen, Zölle, mehr Bürokratie und deutlich höhere Kosten“, sagte Wansleben.

Beide Seiten hatten sich am Wochenende erneut unnachgiebig gezeigt. EU-Chefunterhändler Michel Barnier erklärte, die EU werde kein britisches Rosinenpicken dulden. Würde man Großbritannien den erwünschten privilegierten Zugang zum EU-Binnenmarkt für Güter gewähren, ohne dass die Briten die Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU aufrecht erhielten, wäre das europäische Projekt am Ende, warnte Barnier. Auch die britische Premierministerin Theresa May blieb hart und bestand auf dem so genannten Chequers-Plan, wonach Großbritannien im Güterverkehr weiterhin einen privilegierten Zugang zum Binnenmarkt haben soll und dafür alle EU-Regeln einhalten müsste, im Dienstleistungsverkehr aber ebenso ausscheren würde wie bei der Freizügigkeit. Brüssel lehnt dies ab und bietet nur ein herkömmliches Freihandelsabkommen oder eine Zollunion wie mit Norwegen an. Die Zeit für eine Einigung drängt: Ursprünglich sollte sie bis Mitte Oktober gelingen. Da dieser Zeitplan nicht mehr eingehalten werden kann, will Barnier die Gespräche nun bis spätestens Mitte November abschließen. Dazu wäre dann ein EU-Sondergipfel nötig.

Käme es bis dahin nicht zu einer Einigung, würde Großbritannien ohne ein Abkommen aus der EU ausscheiden – der harte Brexit wäre nicht mehr zu verhindern. Insbesondere im Warenverkehr würde es dann gravierende Verschlechterungen geben, so Wansleben. „Wir raten den Unternehmen dringend, sich etwa mit Hilfe unserer Checkliste auf die möglichen Folgen des Brexit vorzubereiten.“ Viele der britischen Vorschläge bedeuteten „einen Sprung ins Ungewisse“ – etwa eine Zollerhebung an den Außengrenzen für die jeweils andere Seite. „Hier sollte politisch dringend nachgebessert werden, um den Schaden doch noch abzuwenden. So könnte eine Zollunion zwischen EU und UK die Brexit-Kosten für beide Seiten erheblich reduzieren“, forderte der DIHK-Geschäftsführer. „Die deutschen Unternehmen haben große Sorge, ob angesichts der ablaufenden Zeit noch rechtzeitig gemeinsame Lösungen gefunden werden.“

In London erhöhte Mays politischer Hauptgegner, der zurückgetretene Außenminister und Brexit-Befürworter Boris Johnson, am Montag den Druck auf die Premierministerin. Ihr auf dem Landsitz Chequers entstandener Brexit-Plan stelle einen Ausverkauf nationaler Interessen dar, sie gehe mit „wehender weißer Fahne“ in die Verhandlungen mit Brüssel und eine Niederlage sei programmiert, schrieb Johnson in einem Beitrag für den „Daily Telegraph“. Johnson attackiert den Chequers-Deal, weil er einen scharfen Bruch mit der EU will. Er strebt die so genannte Singapur-Option an: Ein Großbritannien, das kompromisslos auf den Freihandel setzt, sich klar vom europäischen Binnenmarkt abgrenzt und diesem mit niedrigen Steuern und minimalen Regularien Konkurrenz machen will.

Noch wollen viele Experten und Unternehmen nicht an einen harten Brexit glauben. „Auch wenn die Verhandlungen zwischen London und der EU bis jetzt nicht gut laufen, gehen wir und die meisten Unternehmen weiterhin davon aus, dass es nicht zu einem harten Brexit kommen wird“, sagte etwa Holger Bahr von der Frankfurter Dekabank. „Beide Seiten müssen jetzt hart bleiben, weil die Verhandlungen in die entscheidende Phase kommen.“ Alles andere wäre eine Überraschung.

Doch die Chancen, dass Mays Chequers-Deal von Brüssel gutgeheißen wird, sind ebenso gering wie die Aussichten der Premierministerin, ihn durch das britische Parlament zu bringen. Es mehren sich damit die Zeichen, dass kein Deal mehr möglich sein wird und es doch zu einem ungeregelten Austritt kommt. Die Finanzmärkte – stets ein gutes Brexit-Barometer – sind jedenfalls pessimistisch und werten das britische Pfund weiter ab.

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