Gastbeitrag Brauchen wir eine Digital-Gewerkschaft?

Düsseldorf · Durch die Digitalisierung wird sich die Arbeitswelt gravierend verändern. Mitbestimmung und faire Bezahlung bleibt dabei oft auf der Strecke. Doch das muss nicht so sein.

 Menschen und Roboter wie dieser aus dem Heinz-Nixdorf-Museum in Paderborn werden in Zukunft immer mehr zusammenarbeiten. Doch nicht nur diese Entwicklung wird die Arbeitswelt verändern.

Menschen und Roboter wie dieser aus dem Heinz-Nixdorf-Museum in Paderborn werden in Zukunft immer mehr zusammenarbeiten. Doch nicht nur diese Entwicklung wird die Arbeitswelt verändern.

Foto: dpa/Guido Kirchner

Die Digitalisierung ändert Alles – auch die Arbeit! Und so müssen sich Arbeitgeber aber auch Arbeitnehmer auf neue Zeiten einstellen. Dabei wird auch an den alten Strukturen und Anforderungen der betrieblichen Sozialpartnerschaft gerüttelt.

Zurecht? Sind wir alle in Zukunft nur noch Freelancer? Wird es die vollkommene Flexibilität der digitalen Arbeit geben? Wie können Mitarbeiter mit einer Digitalkompetenz im Rahmen der Weiterbildung ausgestattet und anschließend aber auch gehalten werden? Wo sollen neue digitale Fachkräfte herkommen? Wie werden die Belange dieser digitalen Mitarbeiter organisiert? Brauchen wir noch den klassischen Betriebsrat oder werden nicht alle Mitarbeiter sowieso digital in die betriebliche Willensbildung in Zukunft kollaborativ eingebunden? Und was ist mit den immer weiter zunehmenden prekären Arbeitsverhältnissen bei digitalen Startups und Plattformen – brauchen wir für diese wachsende Arbeitsgemeinde so etwas wie eine IG Digital?

Fragen über Fragen, auf die es heute noch keine bzw. kaum Antworten gibt. Dabei liegt dies im Interesse aller Beteiligten und zwar sowohl auf der Arbeitgeber-, wie auch auf der Arbeitnehmer-Seite und nicht zuletzt muss auch der Staat im Sinne der Sozialsysteme eine Notwendigkeit sehen, die Rahmenbedingungen für die Arbeit 4.0 zu definieren.

Die IG Metall hat mit Bosch einen Tarifvertrag für die Digital-Abteilung ausgehandelt

Im Moment regelt das der Markt und das mal mehr oder weniger zukunftsorientiert. Da entlässt die Reiseplattform booking.com rund 350 Mitarbeiter, weil es vermutlich einen internen Streit mit dem Betriebsrat gab oder es werden direkt wie bei, Lieferdienst Deliveroo die Verträge der entsprechenden Mitarbeiter nicht verlängert, die eine solche Mitarbeitervertretung gegründet haben.

Gleichzeitig handelt die IG Metall mit Bosch einen ersten Tarifvertrag speziell für die Digital-Abteilung des Unternehmens aus, damit eine Flexibilisierung der Arbeitszeiten möglich wird. In Frankreich gibt es die ersten Gemeinschaften, welche die Freelancer und prekären Arbeiter gegenüber Uber & Co. bei Fragen von Rechten, Versicherungen, Sozialleistungen usw. unterstützen.

Firmen könnten verpflichtet werden, Mitarbeiter am Unternehmen zu beteiligen

Dagegen werden bei ersten Startups die Hierarchien komplett abgeschafft und jeder ist an den Entscheidungen oder sogar dem Unternehmen beteiligt. Vor diesem Hintergrund kann man auch mal über den Mindestlohn hinausdenken und das Vehikel einer verpflichtenden Mindestbeteiligung von Mitarbeitern als virtuelle Anteilseigner in Auge fassen. New Work kann eine neue Selbständigkeit und Teilhabe an der Gemeinschaft und den Unternehmen ermöglichen, ausgehend von der Frage, was uns als Menschen wirklich wichtig ist.

Diese Beispiele und Aspekte zeigen, dass wir zwar mitten in den digitalen Veränderungen auf die Arbeitswelt stecken, aber kaum einer die wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Gestaltung durchdenkt. Und zwar zunächst einmal vollkommen frei von ideologischen Grundpositionen aus einer alten Arbeitswelt. Das ist aber dringend notwendig und zwar in einem gemeinsamen Schulterschluss von Arbeitgeber und -nehmern.

Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssen an einem Strang ziehen

Beide Seiten sind vereint in dem digitalen Strudel der Veränderungen und müssen im Rahmen der digitalen Transformation an einem Strang ziehen, um gestärkt in die Zukunft zu gehen. Nur wenn dies gelingt, können nicht nur die vorhandenen realen Unternehmen mit den zugehörigen Arbeitsplätzen überleben, sondern auch die digitalen Startups entstehen, die neue Arbeitsplätze schaffen. Im Moment versuchen alle, irgendwie zurecht zu kommen.

Diese Taktik wird aber spätestens dann zu Ende sein, wenn wir mehr und schneller Arbeitsplätze durch die Digitalisierung verlieren werden, als entweder neue schaffen und/oder wir die Menschen auf die neuen Arbeitsanforderungen vorbereiten können, um sie nicht für diesen Weg zu verlieren. Das ist eine tickende wirtschaftliche und soziale Zeitbombe, denn die Digitalisierung ist schneller als der Mensch!

Agilität und soziale Absicherung müssen sich nicht ausschließen

Mögliche Antworten oder zu mindestens erste Vorschläge für dieses Szenario gibt es durchaus. Von einem bedingungslosen Grundeinkommen, über eine Maschinensteuer für Roboter bis hin zu Digitalpakt und Weiterbildungskonto. Auch das Konstrukt einer IG Digital als Sammelbecken und kollektiver Sozialkasse aber auch als organisierter Interessensverbund für die digitale Arbeiterklasse mit pauschalen oder kopfbezogenen Abgaben der Internet-Unternehmen wird diskutiert. Agilität auf der einen, soziale Absicherung auf der anderen Seite als gemeinsames Ziel. Die Künstlersozialkasse als digitale Wiedergeburt. Vielleicht ist ja doch nicht alles neu und es müssen nur die Instrumente neu interpretiert werden.

So muss Mitbestimmung auch in Zukunft eine entscheidende Rolle spielen. Das Betriebsverfassungsgesetz ist daraufhin anzupassen. Mit dem geplanten Qualifizierungschancengesetz muss Weiterbildung so organisiert werden, dass Arbeitnehmer auch morgen noch eine gute Perspektive auf dem Arbeitsmarkt haben. Und im Rahmen Künstlicher Intelligenz werden Mensch und Maschine in Zukunft immer mehr zusammenarbeiten und die Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts revolutionieren.

Technik für Veränderungen nutzen

Vielleicht werden virtuelle Genossenschaftsmodelle im Internet über die Blockchain alle teilnehmenden „Mitarbeiter“ an den betriebswirtschaftlichen Ergebnissen partizipieren lassen. Vielleicht wird der Faktor Gehalt über Kryptowährungen neu interpretiert werden. Vielleicht werden Krankenkassenbeiträge bei Digitalunternehmen ergänzt werden durch geldwerte gesundheitliche Präventiv-Programme, damit ihre wertvollen Mitarbeiter gar nicht erst krank werden. Fakt ist, dass nur eine gemeinschaftliche Gestaltung eine Antwort auf diese Veränderungen geben kann. Diese Gemeinschaft muss sowohl in den Betrieben zwischen Arbeitgebern und -nehmern als auch in der Politik gefunden werden. Eine sozial-demokratische und sicherlich auch eine sozial-liberale Basis kann und muss dabei sicherlich ein Ausgangspunkt sein und wenn man hier auf der Suche nach neuen Themen und Sinnbildern ist, dann bietet die digitale Arbeitswelt mit der Arbeit 4.0 hierfür sicherlich eine gute Grundlage.

Christina Kampmann (38) ist digitalpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion in NRW.

Tobias Kollmann (48) ist Professor für E-Business und E-Entrepreneurship an der Universität Duisburg-Essen und leitet den Beirat Junge Digitale Wirtschaft des Bundeswirtschaftsministeriums.

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