Experten warnen vor Übernahme Paris hofft auf Ja der EU-Kommission zur Bahnfusion

Brüssel/Berlin · Ein Deal mit dem deutschen Industriegiganten Siemens wurde abgeblasen – nun darf es für Alstom kein Scheitern mehr geben. Paris setzt sich bei der EU persönlich für die Übernahme ein. Doch die Hürden gelten als hoch. Und auch die Gewerkschaft in Deutschland ist alarmiert.

 Der französische TGV-Hersteller Alstom will die Zugsparte des kanadischen Konkurrenten Bombardier übernehmen.

Der französische TGV-Hersteller Alstom will die Zugsparte des kanadischen Konkurrenten Bombardier übernehmen.

Foto: dpa/Walter Bieri

Der französische Wirtschaftsminister Bruno Le Maire hofft auf die Zustimmung der EU-Kommission für die geplante Übernahme des Bombardier-Zuggeschäfts durch den Hersteller Alstom. Die Position der EU-Kommission und der meisten EU-Staaten mit Blick auf das Wettbewerbsrecht habe sich weiterentwickelt, sagte Le Maire am Dienstag nach einem Gespräch mit der zuständigen EU-Kommissarin Margrethe Vestager in Brüssel. Vestager hielt sich vorerst bedeckt.

Branchenexperten warnen vor Wettbewerbsnachteilen vor allem für kleinere Anbieter von Schienenverkehr. Die IG Metall befürchtet weitere Werksverlagerungen an Billigstandorte und forderte von der Politik, den Prozess zu begleiten. Bombardier hat mehrere Werke in Deutschland, Alstom betreibt sein größtes Werk in Deutschland. Beide beschäftigen hierzulande zusammen mehr als 9000 Mitarbeiter.

Der französische TGV-Hersteller Alstom hatte angekündigt, die Zugsparte des kanadischen Konkurrenten zu übernehmen. Dafür werde ein Preis in der Spanne von 5,8 Milliarden bis 6,2 Milliarden Euro fällig. Der Deal soll im ersten Halbjahr kommenden Jahres endgültig abgeschlossen werden. Alstom-Chef Henri Poupart-Lafarge zeigte sich optimistisch, dass die EU-Wettbewerbshüter die Übernahme billigen. Das Unternehmen war vor einem Jahr an Bedenken der EU-Kommission mit dem Versuch gescheitert, mit der Siemens-Zugsparte zu fusionieren.

Le Maire sagte, er habe bei Vestager deutlich gemacht, wie wichtig europäische „Champions“ seien, die auch gegen chinesische und amerikanische Konkurrenz bestehen könnten. Das sei eine Frage der wirtschaftlichen Souveränität Europas, sagte Le Maire. „In der Bahnindustrie stehen wir sehr mächtigen Konkurrenten gegenüber. Wir müssen unsere Kräfte bündeln.“ Eine Sprecherin Vestagers sagte nur, beide hätten „Themen innerhalb des Wettbewerbs-Portfolios, Daten- und Technologie-Souveränität“ besprochen.

Der Bombardier-Konzern ist in der Krise und schwer angeschlagen. Die Zugsparte hat ihren Sitz in Berlin. Von 40.650 Mitarbeitern, die laut Unternehmen zuletzt in 60 Ländern tätig waren, arbeiten nach Gewerkschaftsangaben rund 6500 Stammbeschäftigte in Deutschland. Hinzu kommen etwa 1100 Leiharbeiter. Die größten Standorte sind Hennigsdorf, Görlitz und Bautzen. Auch in Mannheim, Kassel und Siegen sind jeweils mehrere Hundert Menschen beschäftigt. Kleinere Standorte bilden zudem Braunschweig und Frankfurt. Alstom betreibt in Salzgitter sein größtes Werk überhaupt und beschäftigt nach eigenen Angaben 2500 Mitarbeiter an sechs deutschen Standorten.

Der kanadische Bombardier-Konzern steht hinter den Plänen von Alstom. „Wir begrüßen diese Ankündigung“, sagte der Präsident von Bombardier Transportation, Danny Di Perna. Er sprach von großer geografischer und produktbezogener Ergänzung. So könne die Kapazität erhöht werden, um auf die wachsende Nachfrage nach Schienenfahrzeugen zu reagieren.

Aus Sicht von Branchenexperten müssen sich Alstom und Bombardier auf eine intensive Wettbewerbsprüfung einstellen. „Die kartellrechtlichen Hürden sind sehr hoch“, sagte Maria Leenen vom Beratungsunternehmen SCI Verkehr. Die aktuell starke Nachfrage nach Bahntechnik werde auf ein geringeres Angebot stoßen. Vor allem für kleinere Bahnunternehmen könnte es schwieriger werden: „Sie werden deutlich weniger Alternativen haben.“

Die Sorgen der Beschäftigten in den deutschen Werken von Alstom und Bombardier seien berechtigt, sagte Leenen. Es gebe weit größere Überschneidungen bei Produkten als bei dem ursprünglich geplanten Zusammengehen von Siemens und Alstom. Aktuell würden Überkapazitäten durch eine „große Beschaffungswelle“ überdeckt: „Derzeit wird jedes Werk gebraucht. Aber was kommt nach der Sonderkonjunktur?“

Der Betriebsratschef im Alstom-Werk Salzgitter, Thomas Ueckert, sagte auf Anfrage: „Ich habe ein ungutes Bauchgefühl.“ Es gebe erhebliche Überschneidungen bei Regionalzügen, U- und Straßenbahnen. Bombardier habe mehr Kapazitäten in Ostdeutschland. Er könne nicht ausschließen, dass Alstom verschiedene Arbeiten an Standorten konzentriere, sagte Ueckert der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Das könnte zulasten des Werkes in Salzgitter gehen, das ohnehin bald seinen Status als konzerngrößtes Werk von Alstom zugunsten von Kattowitz (Katowice) in Polen verlieren werde.

Jürgen Kerner von der IG Metall bekräftigte, die Gewerkschaft gehe davon aus, dass ein Zusammenschluss von Bombardier und Alstom kartellrechtlich so zu bewerten sei wie die untersagte Fusion von Siemens und Alstom. Sollte es doch dazu kommen, werde die IG Metall keine einseitige Konsolidierung in Deutschland akzeptieren. Die Bundesregierung müsse industriepolitische Maßnahmen im Sinne der Beschäftigten ergreifen und die industrielle Basis sichern.

Alstom-Chef Poupart-Lafarge hatte darauf verwiesen, dass sich der Deal mit den Kanadiern deutlich vom früher geplanten Siemens-Zusammenschluss unterscheide. Ziel der Übernahme sei zudem nicht, die Unternehmen zu restrukturieren oder die Beschäftigung zu bedrohen. Das Bahngeschäft sei in voller Expansion. Es könne jedoch in einzelnen Fabriken zu „Anpassungen“ kommen.

(c-st/dpa)
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